Aus der Asche - Silvanubis #2 (German Edition)
über die Gruppe junger Buchen, über der das Netz natürlich gestern bereits gehangen hatte.
Seit fast einer Woche versuchten sie, sich die unsichtbaren Zelte einzuprägen. Noah und Edmund hatten sie nach Richards Anweisungen an zehn verschiedenen, strategisch wichtigen Stellen um das große Blockhaus herum verteilt. Sie sollten ihnen Schutz und Vorteil gegenüber Kyra bieten, falls es ihr tatsächlich gelingen sollte, bis hierher vorzudringen. Alexander beobachtete, wie die kleinen Bäume samt Schleier vor seinen Augen verschwanden, und beeilte sich, Anna zu folgen, die zornig vorausstapfte, auf der Suche nach dem nächsten Schleier.
Ein wenig humpelte Alexander noch, doch die Krücken hatte er vorgestern zur Seite gelegt. Schmerzfrei war er noch nicht, besonders wenn er länger auf den Beinen war, plagte ihn seine Verletzung. Doch er hatte in der Nacht, als Anna das erste Mal die Feder benutzte, am eigenen Leib erfahren, was es bedeutete, wirkliche Schmerzen zu haben … und diese waren auszuhalten. Immer noch hielt er sicheren Abstand zu der großen, schlanken Gestalt vor ihm, deren Schritte allmählich langsamer wurden, bis sie schließlich stehen blieb.
»Wo bleibst du denn?« Anna drehte sich um, offenbar eher ungeduldig als ärgerlich.
Die Falten in ihrem Gesicht hatten sich ein wenig geglättet, als sie ihn zu sich winkte. Vorsichtig legte Alexander den Arm um ihre Schultern und, er hatte es gewusst, nun schob sie ihn nicht mehr beiseite.
»Sie werden uns einen Vorteil verschaffen, Anna«, begann er behutsam. Er merkte, wie sie sich versteifte, und trat einen Schritt zurück.
»Das weiß ich selbst, Alex. Aber es nützt nichts, wenn wir uns darin verfangen und Kyra sozusagen vor die Füße fallen.«
Alexander verkniff sich die Bemerkung, dass sich alle, außer Anna, die Stellen der Netze bereits eingeprägt hatten. Stattdessen zog er sie näher zu sich heran und küsste flüchtig ihre Stirn. »Später üben wir noch einmal mit unserem persönlichen Netz. Das klappt ja schon richtig prima.«
Anna nickte zerknirscht. »Weil du mir den Weg weist, Alex. Ich folge dir einfach nur. Das kann schließlich jeder.«
Alexander biss sich erneut auf die Unterlippe. Er fand, sie sah hinreißend aus. Ihre Wangen glühten vor Eifer, die Haare waren vom Wind zerzaust und auf ihrer Stirn hatten sich unzählige, neue Falten gebildet.
»Du unterschätzt dich, Anna. Ich denke, wir kommen unter dem Netz so schnell voran, weil wir ein gutes Team sind. Und zu einem Team gehört immer mehr als einer. Du scheinst automatisch zu wissen, wo mich mein nächster Schritt hinführt. Das kann nicht jeder.«
Na also, ein paar Falten weniger. Das Lob schien ihrem angeknacksten Selbstbewusstsein gutzutun. Außerdem hatte er nicht übertrieben. Inzwischen kamen sie, verborgen unter ihrem Abolesco Schleier, wirklich schnell voran, besonders nachdem sie die unmittelbare Umgebung des Hauses, und damit alle unsichtbaren Schutzzelte, die Alexander mit spielerischer Sicherheit umlief, hinter sich gelassen hatten. Erst dann wagte Anna wirklich, schneller zu laufen. Als besonders geschickt hatte sich Nico erwiesen. Er sprintete von Netz zu Netz wie kein anderer. Er würde die Zelte im Schlaf finden, im Dunkeln und mit verbundenen Augen.
»Ha!« Triumphierend verschwand Anna vor seinen Augen. Er schickte ein Stoßgebet gen Himmel. Gott sei Dank, sie hatte das nächste Zelt gefunden. Er schob den unsichtbaren Vorhang zur Seite und stellte sich neben sie.
»Dieses kann ich mir wenigstens merken.«
Es sollte gleichgültig klingen, doch Alexander sah, wie ihre Augen leuchteten. Anna streckte ihre Hand aus und Alexander lächelte. Er wusste, sie wollte sich vergewissern, dass das Netz auch wirklich dort war, wo sie es vermutete. Auch Alexander versetzte es immer noch in Erstaunen, dass er zwar problemlos erkennen konnte, was außerhalb des Schleiers vor sich ging, er aber trotzdem von außen unsichtbar blieb. Dieses Zelt war wohl das größte der zehn und dem Wohnhaus am nächsten. Es war nicht nur groß und geräumig, sondern auch enorm hoch. Hier hatten problemlos zwanzig Personen Platz. Die Äste der großen Weiden vor dem Haus und zwei massive Stämme auf der gegenüberliegenden Seite dienten als Stützpfeiler für das überdimensionale Netz. Die Stämme erinnerten an die Stöcke, die Anna und Alexander benutzten, um daran ihren persönlichen Abolesco Schleier zu befestigen. Im Gegensatz zu ihren recht dünnen, armlangen Ästen waren diese
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