Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
scheinbare Steigerung der geistigen Funktion (unbewusste Mehrleistung) erklärt sich durch Aufhebung der Hemmungen des Wachzustandes.« Dass die Medien seltsam drauf sind, wäre noch egal oder sogar praktisch gewesen. Aber ihre Hinweise hatten immer ins Leere geführt. Und das war das Problem.
Wie Treffer entstehen
Mich interessierte trotz allem das Vorgehen des Mediums, da die Frau ja aufrichtig an ihre Berufung glaubte und wirklich keinen Pfennig Geld verlangte. Vielleicht ließ sich ja doch etwas aus ihrem Verfahren lernen?
Die übliche Technik bei den Bühnenshows von Mental-Magieren ist, dass sie ihr Gegenüber sehr geschickt und mit viel Menschenkenntnis ausfragen. Das ist als »Cold Reading« bekannt, und sicher kennen auch Sie jemanden, beispielsweise einen alten Kneipenwirt, der diese Technik beherrscht. Man muss dabei auf die Kleidung, die Körperhaltung, das Blinzeln der Augen und vieles mehr achten, was unsere Seherin mangels Gegenüber (ich habe sie nie getroffen) nicht konnte. Ihr lagen nur die Farbfotos vor.
Der zweite Trick sind sogenannte Barnum-Aussagen. Benannt sind sie nach dem Zirkusgründer Phineas Taylor Barnum, der alle möglichen Darbietungen im Programm hatte und dazu ein riesiges Kuriositätenkabinett besaß, das jedem etwas bieten konnte (»a little something for everybody«). Genauso geschmeidig funktionieren auch Barnum-Aussagen: Man bleibt mit seinen Aussagen an der Oberfläche, die für alle Menschen gilt, gibt dem Gegenüber aber den Eindruck, etwas ganz tiefgreifend Persönliches zu sagen. Sie kennen das aus Zeitungshoroskopen, die Sie ja beliebig austauschen können, und die trotzdem noch immer stimmen. Probieren Sie es auf der Arbeit aus, indem Sie Ihren KollegInnen einfach das »falsche« Horoskop vorlesen. Sie werden verblüfft sein: Die scheinbar präzisen Aussagen passen auch auf jedes andere »Sternzeichen«. Doch solche Barnum-Allgemeinplätze wären bei unseren fünf mehr oder weniger kriminellen Fällen viel zu auffällig und auch viel zu leicht total falsch gewesen. Es ging ja um das Aussehen von Tätern mit oder ohne Bart, die Art von tödlichen Verletzungen und so weiter. Dererlei sehr genaue Dinge lassen sich nicht wie»Glück« in der Liebe oder »Erfolg« bei der Arbeit dahinschlampen, sodass sie fast immer passen.
Auch eine andere Methode wendete unser Medium nicht an: Es forschte nicht nach. Andernfalls hätte die Frau einige der ihr vorgelegten Fälle vielleicht knacken oder zumindest deutlich genauer beschreiben können. Dass sie nicht durch Googeln oder Literaturstudien pfuschte, ehrt sie. Es zeigt auch, dass das Medium sich wirklich auf ihre Eingebungen und sonst nichts verlassen hat. Unbewusst hat sie sich aber doch selbst getäuscht. Denn ihre Schlussfolgerungen waren öfters durch bloße Bildbetrachtung nachvollziehbar. Dazu einige Beispiele:
Im ersten Fall hing in altmodischer Umgebung das Bild einer älteren Frau an der Wand. Auf dem Sitzpolster befand sich ein nicht identifizierbarer, bräunlicher Fleck. Die (falsche) Schlussfolgerung, dass ein alter Mann in seiner Wohnung gesessen hatte, und dass seine Frau – als Bild an der Wand – schon früher gestorben war, lag nicht fern. Stimmt ja auch: Wer hängt sich schon sein eigenes Bild übers Bett? Unser Opfer tat es. Dass zudem von der Spurensicherung alle Decken vom Sofa entfernt worden waren und dann irgendjemand aufgeräumt, dabei aber das Blut nicht entfernt hatte, war ebenfalls eine harte Nuss. Dass das Medium glaubte, dass in dieser – leider nur auf dem Bild – ordentlichen Umgebung ein friedlicher Tod statt des in Wahrheit sehr gewalttätigen Geschehens mit Dutzenden von Messerstichen vorgelegen habe, ist durchaus erklärlich. Leider lag das Medium damit aber vollkommen falsch.
Auch in Fall 2 lässt sich einiges aus dem Tatortbild mit der toten Exfrau O. J. Simpsons ableiten. Dass beispielsweise viel Bewegung, etwa durch einen Fluchtversuch oder Kampf, stattgefunden hat, erschließt sich aus der weiträumigen Verteilung des Blutes. Die ganze Umgebung erscheint recht edel und gehoben (Vorgarten mit schicken Pflänzchen) und wie in einem Urlaub im Süden – so kommt man leicht (allerdings schon wieder falsch) auf ein Motorboot als Freizeitgerät.
Der (korrekte) Hinweis auf große Kälte im Vampirfall ist ebenfalls aus dem Foto ableitbar und verständlich. Der Tote hat nämlicheine dicke Mütze auf und sieht aus wie mit Frost überzogen. Dass die weißen Sprengsel um seinen Mund aber
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