Aus der Hölle zurück
von draußen her, vernahmen wir erneut das Krepieren einschlagender Bomben. Offensichtlich hatten sich die Bomber etwas von Regensburg entfernt.
Plötzlich wurde mir so wohl zumute. Alles war mir vollkommen gleichgültig, und der Bombenangriff verlor seine Bedeutung. Selbst das – nach wie vor nur an einem seidenen Faden hängende – Leben war mir plötzlich nicht mehr so wichtig. Ich hatte nie Kognak getrunken. Ich war zu jung gewesen, um Alkohol zu trinken. Es war eine unglaubliche, eine ungewöhnliche Situation, die mit einem Konzentrationslager – so mochte es scheinen – nichts gemein hatte. Und dennoch! Als Plagge aufhörte zu trinken, gab er sofort den nächsten Befehl: »Macht die Kessel voll, aber schnell!« Aus einer Ecke des Waggons warf er uns ein ziemlich langes Stück Gummischlauch zu.
Der genossene Kognak regte das Denkvermögen und unsere Wachsamkeit an. Plagge wußte, warum er hierhergekommen war. Er hatte seinen Plan in allen Einzelheiten vorbereitet und überlegt. Dem Anschein nach klauten Häftlinge während eines Luftangriffes Schnaps aus einem Güterwagen – und er hatte sie ganz einfach dabei erwischt. Der Rückweg bedeutete das Abführen der Missetäter ins Lager, um sie zu bestrafen. Bei Bombenangriffen wurden Geschäfte, Lager und Wohnhäuser von Sondereinheiten des Luftschutzdienstes bewacht. Jedweder Diebstahl während eines Luftangriffs wurde streng bestraft, meist mit dem Tode. Daher hatte sich Plagge so vorsichtig umgesehen. Aber wie das für einen Häftling ausgehen konnte, daran sollte man lieber nicht denken.
Es dauerte etwas, bis wir die Kessel gefüllt hatten. Nachdem wir sie dicht verschlossen hatten, machten wir die Schiebetür wieder auf und sprangen auf die Erde. Vom Boden des Waggons aus neigte ich den Kessel soweit vor, daß ich den Griff packen konnte, und lud mir den Behälter auf den Rücken. Das klappte. Zbyszek tat dasselbe. Schon der leere Kessel war nicht gerade leicht gewesen, aber der volle ließ mich fast in die Knie gehen. Plagge schob die Waggontür zu, zog wieder die Pistole und blickte sich vorsichtig nach allen Seiten um. Es war niemand zu sehen. Der Angriff war noch immer im Gange, und die Posten hatten sich bestimmt in die Unterstände verzogen.
Wir machten uns auf den Rückweg. Irgendwie überstand ich die ersten Meter. Ich spürte die Last, versuchte aber nicht daran zu denken. Ich konzentrierte mich darauf, mit beiden Händen den Griff des Kessels festzuhalten und nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Jede unvorsichtige Bewegung mit dem Kessel konnte üble Folgen nach sich ziehen. Der Kessel würde einfach zu Boden fallen, und obwohl er dicht verschlossen war, konnte er durch den Aufprall aufgehen. Die wertvolle Beute des SS -Mannes würde rasch im Boden versickern. Was mit mir geschehen würde, daran wollte ich lieber gar nicht denken. Ich war kein Athlet. Ich war nicht so kräftig wie Zbyszek, und obwohl ich durch den Umgang mit den Kesseln und anderen Lasten einigermaßen geübt war, fiel es mir immer schwerer, den unhandlichen Behälter zu schleppen.
Indessen erreichten wir die Reihen der zerbombten Güterwagen. Das Trümmerfeld war schwer zu überwinden. Plagge erlaubte uns, mit den Kesseln an einen Waggon gelehnt, einen Augenblick zu verschnaufen, aber das reichte nicht, um neue Kräfte zu sammeln. Wiederum mußten wir uns durch eine Reihe von Waggons hindurchschlängeln. Vor Anstrengung war ich von oben bis unten naß. Auch der genossene Alkohol tat das seine. Ich schleifte den unglückseligen Kessel vorsichtig unter den zerstörten Waggons hindurch und paßte auf, daß er nicht aufging. Als ich es schließlich geschafft hatte, landete ich geradewegs auf einer in einer kleinen Vertiefung liegenden Fliegerbombe, die nicht explodiert war. Mir brach der Angstschweiß aus. Es genügte, den Blindgänger zu erschüttern, und alle Probleme würden sich von selbst erledigen.
Ich verfing mich in einem Haufen verbogener Eisenstäbe und zersplitterten Holzes. Ich konnte mich weder drehen noch wenden und blieb stehen. Plagge, der mich zurückbleiben sah, rief mir mit gedämpfter Stimme zu: »Schneller, zum Teufel noch mal! Der Angriff kann gleich zu Ende sein!« So ein Hundesohn – dachte ich im stillen. Da hatte er uns in diese verrückte Sache hineingeritten und jetzt trieb er uns auch noch an, dieser Schweinehund. Zum Glück bemerkte Zbyszek, der sich neben einem anderen Gleis fortbewegte, meine Not. »Halt dich mehr rechts, da kommst du
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