Aus der Hölle zurück
Luft über dem Stadtgebiet erreichte uns das Getöse explodierender Granaten. Was hatte er vor? – fragte ich mich.
Die Lage wurde mit jedem weiteren Meter immer gefährlicher. Es gab keinen Zweifel mehr – wir fuhren dorthin, wo der Bombenangriff noch im Gange war. Erneut erfüllte das Dröhnen von Flugzeugmotoren die Luft, und wir hörten das Pfeifen der niedergehenden Bomben. In mir gab es nur noch Angst und Furcht. Zbyszek, der mit mir zusammen den Wagen schob, schwieg. Unterdessen bedeutete uns Plagge von Zeit zu Zeit mit der Pistole, in welche Gasse wir einbiegen sollten. Er schien etwas nüchterner zu werden, und plötzlich befahl er uns zu laufen. Das war bitterer Ernst. Irgend etwas hatte er vor. Aber was?!
Ziemlich schnell erreichten wir – die leeren Straßen durcheilend – die Gegend des Güterbahnhofs. Die Flugzeuge unternahmen gerade einen neuen Angriff. Dicht fielen die nächsten Bomben. Sie entfachten eine Hölle. Weit über zehn Güterwagen wurden von mächtigen Explosionen in die Luft gejagt, in Stücke zerfetzt, und die Überreste hagelten auf die Erde nieder. Die nächste Bombe traf irgendeinen Treibstofftank. Schwarzer Qualm breitete sich über einen beträchtlichen Teil der Rangier- und Verladegleise des Güterbahnhofs aus. Wenn Wind aufkam, waren wir vollkommen in beißenden Rauch gehüllt.
Plötzlich befahl uns Plagge, anzuhalten und den Wagen neben einem langen, einstöckigen Gebäude stehenzulassen. Es war irgendein Lager. Plagge wies an, die Kessel auf den Rücken zu nehmen, und ging auf die Reihen der soeben erst bombardierten Güterwagen zu. Auf einigen Nebengleisen stand noch ein Teil der Waggons. Den Wagen auf der verhältnismäßig ebenen Fahrbahn der Straßen dahinzuschieben, war kein Problem gewesen, aber sich mit dem schweren Kessel auf dem Rücken zwischen den teilweise umgestürzten Waggons fortzubewegen und alle Augenblicke Bombentrichtern auszuweichen, das machte einem bald schwer zu schaffen. Um einige Hindernisse umgehen zu können, mußte man den Kessel unter nicht zerstörten Waggons hinter sich herschleifen.
Schließlich erreichten wir einen weniger zerstörten Teil des Bahngeländes. Auf einem der unbeschädigten Gleise stand eine lange Reihe gedeckter Güterwagen. Plagge hatte zwar weiterhin die Pistole in der Hand, schien jetzt aber fast nüchtern zu sein. An der Seitenwand eines Waggons entdeckte er zwei kleine, mit Kreide aufgemalte Kreise. Er steckte seine Waffe ins Halfter und rieb sich die Hände. »So, das wäre geschafft«, meinte er. Dann blickte er sich aufmerksam nach allen Seiten um und hieß uns vorauszugehen. Er zählte sieben Wagen ab und machte beim nächsten halt. Dort waren ebenfalls zwei Kreidekreise angezeichnet. Ich war erregt. Worum mochte es hier gehen?
Nach wie vor konnten wir keinen Sinn in diesem wahnwitzigen Ausflug während des Luftangriffs entdecken. Plagge blickte sich noch einmal nach rechts und links um und befahl uns dann, die Waggontür zu öffnen. Als wir sie zur Seite geschoben hatten, drang uns ein seltsamer Geruch entgegen. »Schnell! Rein mit euch!« befahl der SS -Mann. Wir krochen mühsam hinauf und zogen die Kessel hinter uns her. Die Tür mußten wir sofort wieder zuschieben. In dem geräumigen Wagen war es etwas dämmerig, aber von den kleinen Fenstern her fiel ein ziemlich breiter Lichtschein ein. Bald konnten wir erkennen, daß in dem Wagen etwa 15 große Fässer standen. Jedes mochte an die 100 Liter enthalten. Eines der Fässer stand offen. Eben von dorther erreichte uns der seltsame Geruch. Plagge ließ uns keine Zeit zu irgendwelchen Überlegungen. »Ihr elenden, verfluchten Hunde«, sagte er, »euer Kommandant befiehlt euch, eure polnischen Schnauzen in dieses Faß zu stecken! Aber dalli!«
Wir guckten uns blöde an. Daraufhin packte er uns beide im Genick und stieß unsere Köpfe nacheinander mit starker Hand in die dunkelbraune Flüssigkeit. Ich verschluckte mich, denn sie drang mir in die Nase. Doch gleich darauf begann ich die Flüssigkeit zu schlürfen, um nicht zu ersticken. Es war Kognak. Mir wurde warm, geradezu heiß. Das Getränk stieg einem zu Kopfe mit seinem seltsamen, starken Aroma. Nach ein paar Schlucken zog Plagge unsere Köpfe aus dem Faß. Er lachte dröhnend über den Spaß, den er sich mit uns erlaubt hatte. Er beugte sich selbst über das Faß und begann gierig zu trinken. Zbyszek und ich blickten uns gegenseitig an. Wir hatten vollkommen verdatterte Mienen. Irgendwo aus der Ferne,
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