Aus der Hölle zurück
neue Zug in Bewegung. Er fuhr langsam. Erst gegen drei Uhr nachmittags lief er auf einem Bahnhof ein, auf dem das Schild AUSCHWITZ zu sehen war. Dort blieb er auf einem Nebengleis stehen. Durch das Fenster konnten wir sehen, daß die Verladerampe mit Posten umstellt war, die Totenkopfabzeichen an den Uniformmützen trugen. Jeder von ihnen hatte eine Maschinenpistole oder einen Karabiner in der Hand. Einige von ihnen waren mit Hunden da.
In den Güterwagen, an die man uns unterwegs angekoppelt hatte, befanden sich ebenfalls Häftlinge. Sie wurden mit Kolbenstößen zu der sich entlang der Wagenreihe aufstellenden Kolonne getrieben. Unsere Bewacher öffneten die Türen und nahmen uns die Stacheldrahtfesseln ab. Von allen Seiten hörten wir plötzlich ein entsetzliches Gebrüll: »Los, los, ihr verfluchten Banditen! Aber dalli!«
Die SS -Leute begannen völlig grundlos, mit den Gewehrkolben – einige auch mit Knüppeln – auf die Aussteigenden einzuschlagen. Unterwegs bekamen auch wir etwas ab. Unsere Gruppe aus dem Personenwagen schloß, angetrieben von Kolbenstößen, zu der bereits dastehenden Kolonne auf. Es dauerte einige Zeit, bis auch die Nachzügler aus den Güterwagen die Kolonne erreicht hatten. Mehrere junge SS -Leute unterschiedlichen Ranges waren für die Gruppen aus den einzelnen Waggons zuständig. Mit Stöcken zählten sie die aufgestellten Leute ab. Wenn sich jemand nicht richtig eingeordnet hatte, versetzte sie das in unbegreifliche Wut. Sie schlugen rücksichtslos zu. Unter den Häftlingen befand sich ein gutes Dutzend Leute in vorgerücktem Alter. Auf diese älteren Menschen hatten es die SS -Leute abgesehen. An ihnen ließen sie ihren ganzen Unmut über unsere Ankunft aus.
Schließlich setzte sich die Kolonne in Bewegung. »Links, links, links, zwo, drei, vier …«: Einer der SS -Posten gab den Schritt an. Als er sah, daß die Menge zu schleppend vorankam, befahl er: »Im Laufschritt, marsch, marsch!« In der Kolonne gab es ein ziemliches Durcheinander. Die einen bemühten sich, das angegebene Tempo einzuhalten, die anderen schafften es nicht. Und eben darum ging es. Es war der Vorwand dafür, »Ordnung« in die Kolonne zu bringen. Andere SS -Leute kamen aus den Blocks hinzugelaufen und droschen auf die Menge ein. Sie schlugen wahllos auf Köpfe und Füße und brüllten dabei ununterbrochen.
Ich war wie betäubt und entsetzt über das Geschrei der SS -Leute und den Lärm, den die im Laufschritt voraneilende Kolonne verursachte. Ich geriet in die mittlere Reihe und war dadurch weniger den Hieben der SS -Leute ausgesetzt, die auf uns einschlugen.
Nach einiger Zeit kam der Befehl, stehenzubleiben. Einige Häftlinge, die sich am Ende der Kolonne befanden, trugen drei, vier Leute aus den Güterwagen auf den Schultern, die vor Entkräftung gestorben waren. Als sie die Gruppe eingeholt hatten, ging es weiter. Irgendwo seitlich von uns erblickte ich plötzlich eine Gruppe von Menschen in gestreifter Kleidung, die Schlafanzügen ähnelte. Sie marschierten in dieselbe Richtung wie wir. An der Spitze ging ein dicker Mann in einer schwarzen oder dunkelblauen Jacke und in Schlafanzughosen. Am linken Unterarm trug er eine gelbe Binde mit der schwarzen Aufschrift CAPO . Man konnte sich unschwer denken, daß dies eine Gruppe von Häftlingen des Konzentrationslagers war. Nach einer Weile bemerkte ich eine zweite Gruppe. Sie glich der ersten, nur war sie weitaus größer. Diese Gruppe sang irgend etwas; ich konnte jedoch kein Wort davon verstehen.
Unterdessen erreichte unsere Gruppe ein Tor, vor dem wir stehenbleiben mußten. Über dem Tor prangte die Inschrift »Arbeit macht frei«. Rechts und links vom Tor waren mehrere Reihen von Stacheldrahtzäunen und Hinweisschilder mit der Aufschrift »Vorsicht! Lebensgefahr« befestigt. So sehen also die Drähte des Lagerzauns aus, dachte ich bei mir. Doch wie sollte man sie bei der Anwesenheit so vieler SS -Leute überwinden?
Abb. 2
KZ Auschwitz. Haupttor.
Zu längerem Überlegen ließ man uns keine Zeit. Die neuen Häftlinge wurden abgezählt, das heißt unsere ganze Kolonne, etwa 400 Mann. Jenseits des Zauns wurden wir von Häftlingen mit Knüppeln begrüßt. Die brutalen Schläger trugen rote und schwarze Armbinden, auf denen ich die Abkürzungen BL , CAPO und LA entzifferte. Ausgerüstet mit kurzen Knüppeln oder Stöcken, gingen sie auf die einmarschierende Kolonne los und begannen die Marschordnung zu »verbessern«. Dabei brüllten sie »Links,
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