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Aus der Hölle zurück

Aus der Hölle zurück

Titel: Aus der Hölle zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tadeusz Sobolewicz
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nicht so wie Müller auf dem Bauhof. Sie hielten irgendwelche Stöcke in den Händen, machten aber nur selten Gebrauch davon.
    Der größte Schurke war der Kommandoführer selbst, ein junger SS - Mann im Range eines Unterscharführers. Er suchte sich seine Opfer unter den jüdischen Häftlingen aus. Er riß ihnen die Mütze vom Kopf, warf sie weit über die Postenkette hinaus und verlangte dann, sich zum Rapport zu melden. Der Häftling war verpflichtet, vor dem SS -Mann die Mütze abzunehmen, Haltung anzunehmen und sich mit seiner Nummer zu melden. Ich sah mehrmals, daß sich ein mit der Mütze zurückkehrender Häftling nicht genau nach Vorschrift beim SS -Mann meldete. Der erboste Schächer warf die Mütze des Häftlings dann noch einmal hinaus. Wenn das Opfer losrannte, um sie zurückzuholen, schoß der bestialische Schurke von hinten auf den Häftling. Wie bereits berichtet, nannte man das dann »Auf der Flucht erschossen«.
    Ähnlich war es in der Sola-Grube gewesen. Der Kommandoführer hatte sich noch einen anderen »Zeitvertreib« einfallen lassen. Er hatte einen der schlecht aussehenden Häftlinge zu sich gerufen, ihm eine Zigarette angeboten und ihm mit dem eigenen Feuerzeug Feuer gegeben. Dann befahl er dem rauchenden Häftling, die Zigarette im Mund zu behalten und daran zu ziehen. Er maß eine Entfernung von zehn bis zwölf Metern von dem Häftling ab, zog seine Waffe aus der Pistolentasche und zielte. Er versuchte, dem Häftling die Zigarette aus dem Mund zu schießen. Einige Male gelang ihm das, doch für mehrere Häftlinge wurde es zur letzten Zigarette in ihrem Leben. Der SS - Mann hatte sich seinen Vorgesetzten gegenüber durch Mut und Wachsamkeit ausgezeichnet und bekam seinen »verdienten« Urlaub. Alle Kommandoangehörigen waren froh, als der Kommandoführer endlich wechselte.
    Die Frühjahrs- und Sommerzeit war nicht so schwer für die Häftlinge wie der Winter. Etwas Sonnenschein und das Zwitschern der Vögel auf den Bäumen erinnerten an jene andere Welt, der wir nicht mehr angehörten. Doch Sonne und Wärme hauchten der Seele des Häftlings auch ein Fünkchen Hoffnung auf eine Wende zum Besseren ein. Das war irrational, geradezu irreal. Es war eine Selbsttäuschung. Und so konnte auch ich mich oft nur durch Täuschung aus dem grauen Einerlei der Lagerwirklichkeit retten.
    Mitte Juni ging ich eines Tages nach der Arbeit in die Nähe des Blocks 20 . In diesem Block hatte ich eine Woche zuvor meinen Vater verlassen. Ich wollte etwas über ihn erfahren. Vielleicht würde ich ihn zu sehen bekommen, dachte ich. Es glückte mir, Rospenk herauszurufen. Er kam irgendwie verwirrt und betreten auf mich zu. Ich sah, daß ihn etwas bedrückte. Am Ende würgte er heraus: »Gestern war eine Selektion. Ich hab getan, was ich konnte, aber es hat nicht geklappt. Sie haben deinen Vater mitgenommen.« Ich erstarrte. Rospenk drückte mir die Hand und fügte hinzu: »Laß dich nicht unterkriegen! Du mußt halt leben! Kopf hoch!« Dann wandte er sich ab und verschwand in der Tür des Blocks.
    Ich stand noch einen Augenblick reglos da. Langsam bohrte sich die bittere Gewißheit in mein Gedächtnis. Der Vater war tot. Ich hatte keinen Vater mehr. Ich hatte denjenigen verloren, der mein ganzes bisheriges Leben hindurch die einzige Richtschnur und mein wahrer Betreuer gewesen war. Ich hatte den Vater nicht mehr, dem es nicht gelungen war, die Freiheit für sein Polen zu erkämpfen. Er hinterließ mir Einsamkeit und Leiden für das Vaterland. In mir zerbrach etwas. Mich erfaßte eine ungeheure Leere, so, als würde ich in einem luftleeren Raum schweben. Und dann kam der überwältigende Schmerz, der leidige Hader mit Gott, daß er mir den Vater genommen hatte, der Hader mit dem Schicksal, mit allen Menschen, mit der ganzen Welt. In mir staute sich Auflehnung auf. Warum mußte ich davon betroffen werden? Warum?
    Die Tür des Blocks 20 öffnete sich erneut. Mit einer Trage, mit umgehängten Riemen kamen die Leichenträger Glowacki und Obojski heraus. Die Trage bog sich unter dem Gewicht mehrerer lebloser Körper durch. Unwillkürlich nahm ich die Mütze ab. Die beiden wandten sich mit ihrer Last dem Block 28 zu, von wo aus jeden Abend die Toten zum Krematorium abgeholt wurden.
    Omein Gott! Wieviel Tod gab es doch ringsum! Wieviel Leid, wieviel Not, wie viele Dramen! Und es gab nichts, um damit fertigzuwerden? Um sich dagegen aufzulehnen? Wieviel mußte man noch erleiden? Wie viele Tage und Nächte noch aushalten, um zu

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