Aus der Hölle zurück
Zustimmung Rospenks kehrte ich über Nacht in meinen Saal zurück. Die halbe Nacht hindurch hielt ich Nachtwache bei Lewandowski, und morgens half ich ihm, drei Tote hinauszutragen. Ich kehrte in die Schonungsabteilung zurück, und obwohl ich diesmal kein vom Blockältesten bestätigter Hilfspfleger war, half ich – als Kranker geführt – weiterhin. Da der Finger ziemlich schnell ausheilte, gewann ich eine weitere Woche im Saal Rospenskis.
Ich war überglücklich, als ich eines Tages unter den aus den Typhusräumen in den Schonungssaal überwiesenen Rekonvaleszenten meinen Vater erblickte. Er war sehr schwach und heruntergekommen. Er konnte sich nur mühsam bewegen und wog nur noch 39 kg. Zu allem Unglück plagte ihn der Durchfall. Nach dem überstandenen Typhus war das eine gefährliche, den Organismus restlos auszehrende Krankheit. Ich konnte mich etwas um den Vater kümmern. Ich versorgte ihn mit dem Becken und brachte seine Pritsche in Ordnung. Ich versuchte auch, bei Glowa Kohletabletten zu kriegen. Glowa war sich darüber klar, wie kritisch der Zustand meines Vaters war. Heimlich röstete ich Brot, was man nicht tun durfte. Und ich riet meinem Vater, so gut ich konnte, daß er nicht zuviel trinken solle. Es sah allerdings weiterhin übel aus, obwohl der Durchfall allmählich nachließ.
Schließlich kam der Tag, da mich der Saalälteste beiseite nahm und sagte: »Du müßtest längst ins Lager entlassen worden sein. Das ist jetzt besser für dich. Wir kümmern uns um deinen Vater. Wir tun, was in unseren Kräften steht. Du siehst selbst, wie dein Vater aussieht.« Ich berichtete meinem Vater von diesem Gespräch. Er setzte sich aufrecht auf der Pritsche hin, blickte mich an und meinte leise: »Ich weiß nicht, ob ich diese Krankheit überstehe, ob ich mit dem Leben davonkomme. Ich fühle mich sehr schlecht. Falls mir etwas zustoßen sollte und du aus dem Lager rauskommst, kümmere dich um die Mutter. Was ich hinterlasse, teilt gerecht unter euch auf.«
Wie gelähmt, hörte ich das mit an. Ich begriff nicht, ich wollte nicht begreifen, was mein Vater sagte. Ich schüttelte die Betäubung ab und meinte leichthin: »Aber Vati, du wirst das schon überstehen.« Und plötzlich wurde mir klar, daß ich selber nicht recht daran glaubte. Der Vater zog meinen Kopf an sich und fügte ganz leise flüsternd hinzu: »Und sag der Mutter, daß ich sie sehr geliebt habe und ihr immer treu gewesen bin.« Er küßte meinen geschorenen Kopf und ließ sich dann auf die Pritsche zurücksinken. Ich winkte ihm zu und meinte noch: »Vielleicht gelingt es mir, manchmal hier hereinzuschauen. Halt dich tapfer!« Aber der Vater hörte mich schon nicht mehr. Er war abwesend. Ich biß mir auf die Lippen und lief, innerlich ein Schluchzen unterdrückend, nach unten, um mich der Gruppe der den Krankenbau verlassenden Häftlinge anzuschließen.
Am Abend befand ich mich in einer Holzbaracke mit der Bezeichnung »Block 23 a«. Sie war vorübergehend zwischen den gerade erst fertiggestellten Blocks 17 und 18 errichtet worden. Hier begegnete ich Bekannten, den Lehrern Szpryngier und Wieczorkowski aus der Zelle in Czȩstochowa. Ich fühlte mich gleich ganz anders, denn beide waren mir wohlgesinnt. Ich bekam einen Platz in der Nähe ihrer Pritsche. In der Freizeit, meist abends, lauschte ich voller Vergnügen gemeinsam mit anderen ihren interessanten Erzählungen zur polnischen Literatur – über Słowacki, Żeromski und Sienkiewicz. Mit gedämpfter Stimme hielten sie gewissermaßen Vorlesungen, so interessant, daß diese Lektionen eigener Art eine einzigartige Flucht aus der trüben Realität ringsum darstellten.
Ich wurde zur Arbeit im »Huta«-Kommando eingeteilt. Tag für Tag marschierte ich nach dem Morgenappell mit einer Gruppe von etwa 100 Häftlingen in Richtung der Stadt Oświȩcim aus. Kurz vor der Brücke über die Soła bog die Kolonne nach links ab. Den Fluß entlang wurden Holzschalungen für einen auszementierten Kanal errichtet, über den die Abwässer einer nahegelegenen Fabrik und des Lagers abgeleitet werden sollten. Auf dieser Baustelle hantierten wir mit Hämmern und setzten die von zivilen Meistern vorbereiteten Konstruktionen zusammen. Das Gelände, auf dem wir arbeiteten, war ziemlich ausgedehnt. Die die Häftlinge beaufsichtigenden SS -Leute waren zu einer Postenkette auseinandergezogen und ca. 70 – 100 m von einander entfernt. Der Kapo und die Vorarbeiter waren Deutsche, quälten die Beschäftigten aber
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