Aus der Hölle zurück
Portionen in die Kochgeschirre meiner Mithäftlinge und bemühte mich, jedem eine volle Kelle zu geben. Wenn alle die ihnen zustehende Suppe bekommen hatten, blieb auf dem Boden des Kessels meist noch ein kleiner Rest zurück. Ich war verpflichtet, dem Kapo und dem Vorarbeiter eine zweite Schüssel einzufüllen. Für das Verteilen durfte auch ich mir das Kochgeschirr noch einmal füllen. Aber auch so blieb immer etwas am Boden zurück. Man drängte sich um den Kessel. Die Masse der Häftlinge wartete darauf, wem wohl der Rest zufallen werde. Das war nicht viel, aber immerhin etwas. Irgend jemand konnte etwas satter werden. Ich wußte genau, was im Magen jedes einzelnen vor sich ging. Vorwiegend waren es frisch ins Lager eingelieferte Häftlinge. Ich war vor gar nicht so langer Zeit selbst ein »Zugang« gewesen und kannte bestens die Bedeutung jedes Löffels zusätzlicher Verpflegung. Der Kapo wies auf drei oder vier Mann, die seiner Ansicht nach gut gearbeitet hatten. Ihnen gab ich also einen der Kessel. Die anderen beiden gab ich denen, die sich am meisten danach drängten. Es hatte keinen Zweck, mit ihnen zu kämpfen. Um sie herum brodelte es.
Die Häftlinge rissen sich gegenseitig die Kessel weg, um wenigstens einen Löffel vom Boden herauszukratzen. Einer stieß den andern weg, und es kam sogar zu Prügeleien. Der Kapo tat, als ob er wütend werde, als er sah, was vor sich ging. Die SS -Leute sahen sich das vorerst gleichgültig mit an. Der Kapo mußte Autorität genießen im Kommando. Er machte dann Gebrauch von seinem Knüppel, um die bei den Kesseln zusammengelaufenen Häftlinge auseinanderzujagen. Ich begriff, daß ich einen Fehler gemacht hatte. Man durfte die Kessel nicht »wahllos« herausgeben. Der Kapo wies mich zurecht und stauchte mich leicht mit dem Knüppel zusammen. Er drohte, daß sich das nicht wiederholen dürfe, sonst würde ich keine Suppe mehr ausgeben. »Die Reste bekommen diejenigen, die gut gearbeitet haben«, wies er in strengem Ton an. Ich mußte mich seinem Befehl fügen.
Am nächsten Tag versuchte ich gemeinsam mit zwei älteren Häftlingen – einer von ihnen war ein Pfadfinderinstrukteur – die Suppenreste der Reihe nach an die auf den einzelnen Bauabschnitten des Kanals eingesetzten Brigaden zu verteilen. Drei Tage lang konnten wir beim Verteilen des Nachschlags aus den Kesseln einigermaßen Ordnung halten. Später berichtete ein junger Häftling, wahrscheinlich die »Flamme« des Kapos, seinem Auftraggeber von unserem Vorgehen, und der Kapo nahm mir die Funktion des Suppenverteilers ab. Diese Arbeit übernahm jetzt sein Augapfel. Damit fielen auch meine zusätzlichen Suppenrationen weg.
Zum Glück konnte ich – nach der Rückkehr ins Lager – mindestens einmal in der Woche mit der Unterstützung von Leszek aus der Küche rechnen. Eine Scheibe Brot – das war ein Schatz, der viel zu bedeuten hatte. An einem Sonntag gelang es mir, mich mit Leszek zu treffen. Ich erfuhr, daß er ebenso wie ich Pfadfinder war und derselben 16 . Mannschaft »General J. Bem« des Posener Fähnleins angehört hatte. Ich dankte ihm für seine Unterstützung, für das Brot. Und er entgegnete ganz einfach: »Ach, das hat nichts zu bedeuten. Du würdest genauso handeln. In der Küche machen das alle. Man muß sich gegenseitig helfen.«
Wohl gerade damals gewann ich die Überzeugung zurück, daß es sich dennoch lohnte zu leben. Nicht alle Leute sind schlecht – dachte ich mir. Nicht alle sind Halunken. Ich verabschiedete mich von Leszek und bewahrte tief im Innern ein Fünkchen Optimismus und Glauben an den Menschen. Vielleicht würde ich diese Hölle doch überstehen. Vielleicht würde ich diese Banditen überleben.
Der nächste Tag versetzte alle in Erregung. Aus dem HWL (Hauptwirtschaftslager) waren vier Häftlinge geflohen – in SS -Uniformen und mit einem Kraftwagen der SS . Das war ein völlig unglaubliches Ereignis. Die Deutschen waren wütend. Ich freute mich, daß Polen die Flucht gewagt hatten.
Nach den Abendappellen wurden, im engsten Kreis von Vertrauten, die Einzelheiten der Flucht eingehend von den Häftlingen diskutiert. Diese Tat stärkte bei vielen von ihnen den Glauben daran, daß es aus dieser Hölle doch einen anderen Ausweg geben konnte als den Kamin. Es war aber nur ein kurzer Augenblick der Hoffnung und der Freude. Beim nächsten Appell erreichte uns die Nachricht, daß mehrere Dutzend Häftlinge an der Todesmauer des Blocks 11 erschossen worden waren. Die
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