Aus der Hölle zurück
Lager-Gestapo schlief nicht und erfüllte konsequent ihre mörderische Mission. Sie wollte um jeden Preis die Häftlinge einschüchtern, sie terrorisieren und ihnen den Willen zum Leben – und zur Flucht – nehmen.
Damals versuchte ein weiterer Häftling zu fliehen, aber auch ihm gelang das nicht. Der Unglückliche wurde ins Lager gebracht. Als die Arbeitskommandos unter den Klängen des Häftlingsorchesters ins Lager einrückten, stand der Ausreißer mit einem Pappschild »Ich bin wieder da!« am Lagertor. Um ihn herum standen SS -Leute, unter ihnen Lagerkommandant Höß. Zufrieden lachend, spuckten sie zum Häftling hinüber und versetzten ihm von Zeit zu Zeit Fußtritte.
Wie mochte diesem armen Hund zumute sein? Woran dachte er? Was ging in ihm vor?
Von außen her das Tor durchschreitend, bemerkte ich, daß er ein blaues Auge und eine gebrochene Nase hatte; und in den Mundwinkeln war Blut geronnen. Es war nur noch die Hülle eines Menschen. Sein Leben war besiegelt. Gebraucht wurde er nur noch, damit die Stärkemeldung beim Appell stimmte.
Zwei Tage später, morgens beim Antreten des Arbeitskommandos, kam ein SS -Rottenführer zum abmarschbereiten Kommando, in dem ich eingesetzt war. »Wer von euch Deutsch spricht, soll sich melden«, sagte er. Ich überlegte. Meine Deutschkenntnisse waren nicht die besten, aber vielleicht konnte ich in ein besseres Kommando kommen! Zaghaft hob ich die Hand, mehrere andere ebenfalls. »Vortreten!« lautete der Befehl. Wir waren sieben. »Keiner weiter?« fragte der SS -Mann. »Kapo! Zur Arbeit marsch!« Der SS -Mann nickte dem Aufseher zu, das »Huta«-Kommando brach auf.
Der Rottenführer befahl uns, ihm zu folgen. Am Block 24 mußten wir stehenbleiben. Dort waren ungefähr 30 Häftlinge, deren Nummern Palitzsch überprüfte. Was hatte das zu bedeuten? Derjenige, der uns hergebracht hatte, begann unsere Nummern aufzuschreiben. Es handelte sich also nicht um die Politische Abteilung. Doch worum dann? Von hier aus wurden die Verurteilten zum Block 11 abgeführt. Ich registrierte die Beunruhigung derjenigen, die mit mir zusammen gekommen waren. In der Nähe stand eine kleine Gruppe von SS - Offizieren – mit Kommandant Höß, mit Aumeier und Grabner. Nie zuvor hatte ich diese Mörder so nahe gesehen.
Schreckerfüllt standen wir eine Weile herum. Unruhe und Angst nahmen zu. Wollten sie uns »erledigen«? Ich spürte, wie mein Herz heftig zu schlagen begann und sich mir die Kehle zuschnürte. Das Blut stieg mir zu Kopf. Einer der hinter mir Stehenden begann zu weinen. Mein Nebenmann begann plötzlich furchtbar zu zittern und versuchte, ein Winseln zu unterdrücken. Ich biß mir schmerzhaft auf die Lippen. Das war doch unmöglich! Ich wollte den schlimmsten Gedanken nicht an mich heran lassen. Ich verfluchte den Augenblick, da ich mich gemeldet hatte. Mit der Deutschkenntnis, das konnte nur ein Vorwand gewesen sein. Zur Hölle mit dieser ständigen Ungewißheit!
Als der Rottenführer die Nummern aufgeschrieben hatte, kehrte er ins Innere des Lagers zurück, und wir standen weiterhin da. Die letzten Arbeitskommandos verließen das Lager. Die SS -Offiziere waren schon verschwunden. Das Orchester hörte auf zu spielen, und die Musiker begannen ihre Instrumente einzupacken, als der Rottenführer schließlich wieder auftauchte. Er brachte noch drei Häftlinge mit, denen er befahl, sich uns anzuschließen. Dann gab er den Befehl »Mir nach! Marsch, marsch!«
Wir wandten uns dem Lagertor zu. Das war das wichtigste. Ich verspürte ungeheure Erleichterung, die Spannung ließ nach. Ein Stein war mir vom Herzen gefallen. Die anderen atmeten ebenfalls auf. Es ging also nicht darum, daß wir den Verurteilten zugewiesen werden sollten. Als wir an ihrer Gruppe vorüberzogen, vor der wir uns so gefürchtet hatten, überwältigten mich Mitgefühl und Trauer um ihr Schicksal. Aber diese Gefühle stellten im Lager keinen faßbaren Wert dar. Am Tor wurden unterdessen unsere Nummern notiert, und der SS -Mann führte uns auf den Weg nach Birkenau. Die Unruhe kehrte zurück. Birkenau galt als eine Hölle, die noch schlimmer war als das Stammlager.
Als wir uns dem Gelände des neuen Lagers näherten, bemerkten wir in den Entwässerungsgräben zur Arbeit eingesetzte Frauen – weibliche Häftlinge. Sie sahen entsetzlich aus. Die fast zum Skelett abgemagerten Gestalten standen da oder bewegten sich langsam; sie hantierten mit Schaufeln, Hacken und anderen Werkzeugen. Man sah, mit welcher
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