Aus der Hölle zurück
Mühe sie etwas Erde auf die Schaufel nahmen, um sie nach oben zu werfen. Alle Augenblicke brüllten junge SS -Aufseherinnen und Häftlingsfrauen mit der Armbinde »Capo«. Mit Knüppeln trieben sie die langsamer Arbeitenden an.
Wir erreichten die Hauptwache am Eingang zum eingezäunten Lagergelände. Nach einer weiteren Überprüfung der Nummern wurde uns befohlen, zur Seite zu treten und zu warten. Der uns beaufsichtigende SS -Mann steckte sich eine Zigarette an. Nach längerer Zeit blieb vor der Wache ein Lastwagen stehen, der mit mehreren Tischen und Hockern beladen war. Wir bekamen den Befehl, die Tische abzuladen und in einen der Sektoren im Innern des Lagers zu bringen. Der SS -Mann zeigte uns die Stelle und verteilte dann einen dicken Stapel Karteikarten an uns. Er erklärte lange, was wir von den neueingelieferten Häftlingen erfragen und wo wir es eintragen sollten. Es zeigte sich, daß wir als Schreiber fungieren sollten. Am wichtigsten war für den Rottenführer, daß wir die Adresse aufschrieben, an die die Post des »Neuzugangs« aus dem Lager gerichtet werden sollte. Wir bekamen Kopierstifte und ausdrückliche, strenge Anweisungen: »Ihr dürft nur Fragen stellen. Die Antworten werden in die Karteikarten eingetragen. Keine Gespräche, keine Informationen! Wenn ich einen von euch beim Plaudern erwische, dann wandert er zusammen mit denen dort ab! Na, ist das klar?«
Ich verstand das nicht so recht, aber der neben mir sitzende Häftling mit niedriger Lagernummer flüsterte mir zu: »Wir werden bestimmt aussortierte Juden aufschreiben. Ihre Familien gehen gleich ins Gas!« »Ich begreife nicht ganz«, entgegnete ich. »Ach, du bist noch zu jung, um alles zu verstehen! Bald wirst du es selber sehen.« Heimlich begann ich mich umzublicken. Die Tische, an denen wir saßen, standen in der Nähe des Weges, der vom Haupteingang ins Innere des Lagers führte. Wir befanden uns im Vorfeld niedriger, gemauerter Baracken. Auf der anderen Seite standen reihenweise Holzbaracken. Die anderen Teile des riesigen Geländes befanden sich noch im Bau. Überall stieß man auf Stacheldraht und Zäune. Hinter ihnen sah ich Gruppen männlicher und weiblicher Häftlinge. Nach einer Weile erblickte ich eine dichtgedrängte Menschenmenge, die – wie mir mein Nachbar erneut zuflüsterte – in Kürze vom Bunker verschluckt werden sollte, in dem die Vergasung stattfand. Frauen, ältere Leute und Kinder zogen dahin. Sie verhielten sich ganz normal auf dem Hauptweg des »neuen« Lagers – etwas schwatzhaft, unbekümmert und furchtlos. Vor der Abfahrt des Transports hatte man ihnen mitgeteilt, daß sie an einen Ort führen, wo sie ungestört arbeiten und leben könnten. Wie überaus gewöhnlich erfolgte das alles und war doch so perfide durchdacht!
Für längere Überlegung blieb keine Zeit. Ein gutes Dutzend älterer und jüngerer Männer wurde von SS -Leuten zu unseren Tischen gebracht. Es stellte sich heraus, daß der Transport aus Holland gekommen war. Offensichtlich hatte man irgendein Ghetto aufgelöst, und wir begannen die Leute von dort aufzuschreiben. Nicht alle. Nur jene, die vielleicht noch einige Zeit im Lager bleiben sollten. Dann würden auch sie der »Sonderbehandlung« unterzogen werden. Zuerst würden die bei der Selektion für das Lager Ausgesuchten eine lakonische Mitteilung an ihre Verwandten in Holland schicken – »Wir sind gesund und fühlen uns wohl.« Die dortige Gestapo würde sich für die Verwandten interessieren, die sich – beruhigt durch die Briefe aus dem unbekannten Auschwitz – freiwillig zur Abreise entschließen sollten, um sich wieder mit der Familie zu vereinigen. Die Deutschen würden ihnen beim Transport behilflich sein … Zur Vereinigung für immer.
Immer mehr Männer kamen an unsere Tische. Ich schrieb fast ununterbrochen. Einige flämische Wörter und Namen schrieb ich vielleicht nicht ganz richtig, aber das war bedeutungslos. Von Zeit zu Zeit blickte ich in die Augen dieser Menschen. Was mochten sie denken? Was spürten sie? Wußten sie, welches Geschick sie erwartete? Aber nein! Sie waren ruhig, vielleicht konnte man etwas Unsicherheit, etwas Vorsicht bei diesem oder jenem bemerken. Selbst wenn ihnen einer von uns gesagt hätte, worum es hier ging – sie hätten es nicht geglaubt. Sie glaubten ihren Häschern, den Deutschen.
Alles verlief reibungslos. Am frühen Nachmittag waren wir fertig. Die SS -Offiziere und SS -Ärzte bestiegen ihre Autos und fuhren in die Kantine,
Weitere Kostenlose Bücher