Aus der Hölle zurück
überleben? Aber nein! Von hier gab es doch nur einen einzigen Ausweg – durch den Kamin! Hartnäckig bohrten sich mir die Begrüßungsworte des Lagerkommandanten an die Neuzugänge in den Kopf. Trotz des Hungers würgte ich meine Scheibe Brot an diesem Abend lustlos und ohne jeden Geschmack hinunter. Ich wurde von absoluter Gleichgültigkeit und Resignation erfaßt.
Abb. 7
KZ Auschwitz. Ausschnitt aus dem Krankenbuch des Blocks 20 mit dem Namen des Verfassers (Zeile 4 ).
An jenem Tag ließen die SS -Leute nachmittags während der Arbeit im Kommando besonders brutal ihre Laune an den Häftlingen aus, und bei der Rückkehr ins Lager sprangen sie auf die Marschierenden los. Sie bearbeiteten sie mit ihren Gewehrkolben, bedachten sie mit Fußtritten und droschen grund- und mitleidslos auf sie ein. Beim Abendappell erfuhren wir vom Aufruhr der Häftlinge der Strafkompanie in Birkenau. Also hatten sich doch nicht alle tatenlos dem Unrecht und der Willkür unterworfen – dachte ich. Mehrere Häftlinge waren geflohen. Nicht einer oder zwei, nein, gleich mehrere. Ich wurde von der Erregung angesteckt. Würde auch ich mich eines Tages dazu entschließen können?
Am nächsten Tag, beim Appell, wurden Aufregung und Leidenschaft durch die Nachrichten aus Birkenau abgekühlt. Mehrere Dutzend Häftlinge waren während der Flucht oder gleich danach erschossen worden. 320 Mann, also fast 75 % der Strafkompanie, hatte man mit Stacheldraht die Hände gefesselt und zum sogenannten Weißen Häuschen gejagt, wo sie vergast worden waren. Die Leichen hatte man in nahegelegenen Gruben verbrannt. Der Preis für die Flucht dieser wenigen war zu hoch gewesen.
Der Abendappell zog sich an diesem Tag lange hin. Das war stets so, wenn einer der Häftlinge dieser höllischen Gefangenschaft entflohen war. Szpryngier, der gerade neben mir stand, flüsterte ich zu: »Die haben aber Mut gehabt, obwohl es eine furchtbare Situation ist.« Er stimmte mir zu: »Ja sicher, nur daß niemand für niemanden und alle für jeden verantwortlich sind. Sippenhaftung!« Wieczorkowski, der vor uns stand, wandte sich um: »Na gut, aber am Ende hatten sie das Recht, sich aufzulehnen, wo man sie sowieso mit Sonderstrafen gequält und Woche für Woche in kleinen Gruppen erschossen hat. Sie hatten nichts mehr zu verlieren.« Andere, die um uns herum standen, dämpften uns und meinten: »Mit diesem Gerede helft ihr sowieso keinem. Die Blockführer kommen! Aufgepaßt!« Alle verstummten. Der Appell zog sich weiter in die Länge. Viele fürchteten, daß die SS -Leute vor Wut imstande sein würden, uns zu dezimieren und weitere Häftlinge zu erschießen. So hatte sie dieser Aufruhr in Rage versetzt. Spät abends ging der Appell zu Ende.
In den nächsten Tagen zogen wir in übler Stimmung zur Arbeit aus. In Gedanken überschlug ich die Zahl der in der Strafkompanie ermordeten Leidensgefährten. Ich konnte mich nicht von der mich unablässig bewegenden Frage freimachen, wann ich an die Reihe kommen werde, wann sie mich erschlagen würden. Ich schleppte eine Hoffnungslosigkeit des Schicksals mit mir herum. Ich wurde nervöser und unruhiger. Was half es, daß ich mich an den harten Drill, an Disziplin und Gehorsam – im Kommando und im Block – »gewöhnt« hatte. Ich fiel nicht auf. Innerlich hatte ich mich mit den gewaltsam aufgezwungenen Pflichten nicht abgefunden. Die Unterwürfigkeit der Kapos, Vorarbeiter und Blockältesten gegenüber der SS widerte mich an. Leider kam es vor, daß sich unter den Arschleckern und Sadisten auch Polen befanden. Aus Angst versuchten sie, ihr Leben auf Kosten anderer zu retten. Die Hände ballten sich mir zur Faust, wenn ich mitansehen mußte, wie einige Blockälteste auf bestialische Weise schwächere, schlecht aussehende Häftlinge ermordeten.
Und wiederum kam ich bei meinen Überlegungen auf meine konkrete Situation im Kommando zurück. Die war nicht gerade die schlechteste. Nach wie vor hämmerte ich im »Huta«-Kommando hölzerne Konstruktionen zusammen. Weil ich vom Gymnasium her etwas Deutsch konnte und mich während der Lagerzeit darin verbessert hatte, wurde der Kapo auf mich aufmerksam und trug mir auf, die um die Mittagszeit in Kesseln auf die Baustelle gebrachte Suppe an die Häftlinge zu verteilen. Das war eine Auszeichnung, die wohl nur dadurch bedingt war, daß einige Kapos und Blockälteste es liebten, sich mit Häftlingen anderer Nationalität in der »Amtssprache« zu unterhalten.
Ich füllte also die
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