Aus der Hölle zurück
an den Tod weit von mir. Ich habe noch einiges vor mir – täuschte ich mich selbst. Ich würde weiterleben, versuchte ich mich selbst zu überzeugen.
Ich verabredete mich mit einem der Häftlingsfeger und bat ihn, er möge auf unseren Abschnitt aufpassen, während ich zum Austreten in einen der Blocks schlüpfte. Ich stöberte in meinen Jackentaschen herum und kratzte Tabakreste zusammen. Ich schüttete sie auf ein Stückchen Papier, das ich beim Fegen gefunden hatte, rollte es zusammen und zündete es an. Von dem starken Tabak wurde mir schwindlig, als ich den Rauch einsog. Ich war leicht betäubt. Meine Gedanken kreisten unablässig um den Block 11 und um die unglücklichen Häftlinge, deren Schicksal sich dort erfüllte. Nichts und niemand war imstande, ihnen zu helfen. Sie würden sich in den letzten Augenblicken ihres Lebens selbst überwinden müssen, um würdig zu sterben – für Polen, um das sie gekämpft hatten, für Polen, mit dessen Knechtschaft sie sich nicht hatten abfinden wollen.
Ich erinnerte mich daran, wie mir ältere Häftlinge irgendwann erklärt hatten, daß sie meist Häftlinge zur Erschießung abholten, denen man aktive Konspiration, Waffenbesitz, Sabotage oder Spionage nachgewiesen hatte. Aber das lief alles nur darauf hinaus, ob in den Akten des Häftlings die Abkürzung » RU « (Rückkehr unerwünscht) vermerkt war oder nicht. Die Entscheidung traf die Gestapo dort, wo man den Delinquenten verhaftet hatte.
Ich hatte eine ganze Weile auf dem Klo gesessen. Als ich den letzten Zug getan hatte, warf ich die Kippe hinein. In diesem Augenblick hörte man Schritte in genagelten Schuhen auf dem Flur. Ein SS - Mann – schoß es mir durch den Kopf. Die Tür wurde urplötzlich aufgerissen, und vor mir stand einer der Blockführer. »Mensch, was machst du denn hier? Hast du geraucht?« fragte er mißtrauisch. Und ohne meine Antwort abzuwarten, hob er den Stock und begann mich damit zu bearbeiten. »Du blöder Hund! Du verfluchtes Arschloch! Aber schnell an die Arbeit!« brüllte er wütend. Und als er sah, wie ich wie geölt aus dem Block lief, machte er auf dem Absatz kehrt und ging weiter, um anderswo einen Block zu kontrollieren. Ich hatte Glück gehabt. Ein anderer SS -Mann hätte Meldung erstattet, und ich hätte » SK «, Strafkompanie, dafür bekommen können. Dieser hatte meine Nummer nicht aufgeschrieben. Es hätte viel schlimmer ausgehen können.
Voller Eifer machte ich mich wieder an die Arbeit, gleichsam als wollte ich meinen Verstoß gegen die Lagerordnung wieder gutmachen. Kurze Zeit später entdeckte ich Blutspuren an meiner Hand. Ich konnte mir denken woher. Der SS -Mann hatte mir die Lippe aufgeschlagen. Ich blutete. Diese Spuren mußte ich schnell beseitigen. Ein Häftling mußte sauber und ordentlich aussehen. Ich durfte keinen Anlaß bieten, mich erneut verprügeln zu lassen. Ich vergewisserte mich, daß kein SS -Mann im Block war, und lief in den Waschraum, um die Blutspritzer von Gesicht und Händen abzuwaschen. Auch dem Blockältesten begegnete ich nicht. Es hatte geklappt. Ich kehrte zu meinem Besen zurück.
Nach der Mittagspause tauchte auf dem Weg vom Block 11 ein Leiterwagen auf. Unter einer Plane lagen die Leichen von Erschossenen auf dem Wagen. Mehrere Häftlinge des Leichenträger-Kommandos zogen den Wagen zum Krematorium. Als sie vorbei waren, sah ich Blutstropfen auf dem Kiesweg. Der Lagerälteste, der plötzlich mit einem Stock auftauchte, befahl uns, die Blutspuren mit Sand zu bestreuen. Morgens hatte dieses Blut noch in den Adern meiner Lagergefährten geflossen.
Beim Aufräumen der mir zugewiesenen Wege und Blocks beendete ich meine Arbeit etwas früher. Ich hatte Kopfschmerzen und beschloß, mich bis zum Appell in meinen Block 23 a, zwischen den Blocks 17 und 18 , zu verdrücken. Hier konnte man sich besser verstecken als in einem gemauerten Block. Es war eine Holzbaracke, in der man dreistöckige Pritschen mit Strohsäcken für etwa 500 Häftlinge aufgestellt hatte. Ich schlüpfte ungesehen ins Innere und lief rasch den Gang zwischen den Pritschen entlang, zu einer Ecke des Blocks. Dort legte ich mich auf eine der obersten Pritschen. Meine Füße ragten über den Rand.
Ich streckte mich bequem aus und schloß die Augen. Nur gut, dachte ich, daß mich kein Funktionärshäftling gesehen hatte. Niemand wußte, wo ich mich versteckte. Für einen Augenblick fühlte ich mich sicher. Zum ersten Mal seit der Einlieferung ins Lager hatte ich es gewagt, vom
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