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Aus der Hölle zurück

Aus der Hölle zurück

Titel: Aus der Hölle zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tadeusz Sobolewicz
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Arbeitsplatz zu desertieren. Das war ein ernster Verstoß gegen die Lagerordnung, aber ich machte mir keine Gedanken darüber. Es war zuviel geschehen. Ich hatte zu viele Eindrücke, zuviel Leiden und Tod zu verarbeiten. Ich wollte, ich mußte mich einfach vom Regime, von der Disziplin der Blockältesten, Kapos, SS - Leute und sogar der Mithäftlinge erholen. Ich brauchte zumindest einen kleinen Augenblick, um mich einsam in mich selbst zurückzuziehen und mich meinen wirren Gedanken hinzugeben, damit sich die angespannten Nerven wenigstens etwas beruhigen konnten. Meine unablässige Wachsamkeit, die ständige Furcht, das Leben zu verlieren, und die ewige Angst, verprügelt zu werden, hatten mich nicht mehr zur Ruhe kommen lassen. Seit dem Verlassen des Häftlingskrankenbaus war ich ununterbrochen Belastungen ausgesetzt, von denen man erschöpft und geschwächt wurde. Der Tod des Vaters hatte mich bis ins Innerste erschüttert. Das Fehlen eines Kommandos, in dem ich Anschluß finden konnte, und das Fehlen eines Betreuers, mit dem ich mich hätte beraten können, wie ich handeln und vorgehen sollte, um zu überleben, bewirkten bei mir ein eigenartiges gedankliches Chaos. Ich handelte nicht überlegt, sondern ließ mich mehr von Instinkt und Intuition leiten. Ich war 18  Jahre und befand mich seit einem Jahr im Konzentrationslager. Ich reifte heran, wurde älter, gleichzeitig aber auch ärmer. Die verfließende Zeit bewirkte, daß sich die Hemmung in der normalen Entwicklung des Menschen vertiefte. Eine Hemmung, die darin bestand, daß das Leben und die Existenz auf den Gedanken, den Hunger zu stillen, und auf ein rein physisches Bedürfnis reduziert waren. Mein empfindliches Wesen konnte sich nicht damit abfinden, aber einen Ausweg gab es einfach nicht.
    Vorübergehend ließ meine Wachsamkeit nach, aber die Ohren registrierten das Geflüster und die Geräusche, die vom anderen Ende des Blocks zu mir herüberdrangen. Sie schienen etwas näher zu kommen. Ich lauschte diesen Stimmen und zog die Füße auf die Pritsche. Langsam begriff ich, daß auch andere – ebenso wie ich – versuchten, Kräfte zu sparen und sich zu verbotener Zeit zu entspannen. Wenn auch andere Häftlinge auf »Tauchstation gegangen« waren, schien keine Gefahr zu drohen. Zwar war jeder für sich selbst verantwortlich, aber man konnte eben nie wissen. Bis zum Appell hatten wir noch mindestens zwei Stunden Zeit. Mir kam der verlockende Gedanke, etwas zu schlafen.
    Ich mochte die Augen nicht öffnen. Für eine Weile geriet ich ins Träumen. In meiner Phantasie erschienen mir die Gesichter von Vater und Mutter … Es war mir so gut gegangen vor dem Krieg, bei den Eltern. So gut – und ich hatte nicht gut genug gelernt. Dann tauchten plötzlich Bilder aus dem Pfadfinderleben auf, vom letzten Lager in der Umgebung von Suwalki. Mein Fähnlein »Jastrzębie« hatte zusammen mit anderen Schützengräben, Fallgruben und Panzergräben ausgehoben. Es war der heiße August 1939 . Wir trainierten den Körper und übten unsere Gewandtheit. Wir glaubten, daß wir dem Vaterland in schwerer Zeit halfen, denn das war unsere patriotische Verpflichtung. »Ein Pfadfinder dient dem Vaterland« hatten wir mit Tannenzapfen auf dem Platz vor den Zelten ausgelegt. »Wer dem Vaterland dient, dient Polen …« Der Trompeter blies das Signal, und langsam wurde die polnische Flagge am Mast gehißt. Ich stand mit den andern stramm. Plötzlich verwandelte sich das Gesicht des Trompeters in die Schnauze des Blockältesten – schweißüberströmt, unangenehm, dumm und gefährlich. Ich hörte das Trompetensignal, aber es verwandelte sich überraschend in einen Gong, in den weithin hallenden Lagergong …
    Ich schreckte auf. Ich hatte geschlafen, aber wie lange? – Zu mir kommend, erhob ich mich von der Pritsche. Die Totenstille im Block erfüllte mich mit Schrecken. Sollte der Appell noch nicht angefangen haben? Angstvoll raffte ich mich auf. Blitzschnell sprang ich vom obersten Stock der Pritsche und rannte den Gang zwischen den Pritschen entlang zum Haupteingang. Hartnäckig peinigte mich ein entsetzlicher Gedanke. Das war doch nicht möglich! Sollte ich den Appell verschlafen haben? Ich schaffte es nicht bis zur Tür. Sie ging plötzlich auf, und drei SS -Leute, einer mit einem Hund, betraten den Block. Der Hund sprang auf mich zu, die SS -Leute bemerkten mich. Ich erstarrte. Wie gebannt blieb ich stehen.
    Blitzschnell jagten mir die verschiedensten Gedanken durch den

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