Aus der Hölle zurück
Juli erfuhr ich von Lewandowski, daß sieben unserer Auschwitz-Kameraden, die man vorher in den Bunker gesperrt hatte, im Experimentierblock vom SS -Arzt ermordet worden waren. Es war unschwer zu erraten, daß die Reibereien und Mißhelligkeiten zwischen den miteinander rivalisierenden Häftlingsgruppierungen unterschiedlicher politischer Überzeugung den Hintergrund dieses Dramas bildeten.
Lewandowski weihte mich nicht in die Angelegenheiten ein. In unserem Block kommentierten die Mithäftlinge den ganzen Vorgang sehr unterschiedlich. Erfreulicherweise wurden 20 weitere im Bunker befindliche Auschwitz-Häftlinge nach einiger Zeit ins Lager entlassen und den einzelnen Arbeitskommandos zugeteilt. Zu ihrer Entlassung hatte, wie mir Lewandowski sagte, eine Gruppe linksorientierter polnischer Funktionäre beigetragen, die Einfluß auf die deutschen Kommunisten und die alten Buchenwald-Häftlinge hatten. Es war bekannt, daß die am längsten im Lager befindlichen Polen eine geheime Widerstandsgruppe gebildet hatten, der ganz gewiß Lewandowski angehörte.
All dies schien völlig unglaublich zu sein. In diesem Lager, in dem tagtäglich Menschen umkamen und im Krematorium verbrannt wurden, sollte es irgendwelche politischen Gruppierungen und Fraktionen geben. Weltanschauliche und politische Überzeugungen und Ansichten – rechtsgerichtete, linksorientierte – schienen angesichts des Schicksals der Häftlinge Nonsens zu sein. Und dennoch entstanden unter den im Kampf um die Lagerexistenz gestählten Häftlingen – sowohl deutschen als auch polnischen, russischen, französischen oder tschechischen Häftlingen – kleine Gruppen mit genau umrissenem ideellem Profil, die allerdings ein gemeinsames Hauptziel verfolgten: Schutz der Häftlinge und deren Betreuung sowie das Durchhalten bis zur ersehnten Freiheit. Diese Ziele vereinten alle, und sie ermöglichten es, an den Sinn des Kampfes zu glauben. Sie trugen dazu bei, daß man Vorbereitungen für den Fall traf, daß die SS versuchen sollte, die Häftlinge zu vernichten.
Ich selbst gehörte einer solchen Pfadfindergruppe an, und obwohl keiner von uns bei den Treffen und Gesprächen in der Freizeit von konspirativem Wirken sprach, verspürten wir schließlich alle die Notwendigkeit und den Willen, uns zusammenzuschließen, um alle Schwierigkeiten und Hindernisse zu bezwingen.
Die Tage im Weimarer Schloß vergingen wie im Fluge. Als wir mit der Arbeit fertig waren, wurde ich wieder in die Gustloff-Werke versetzt, in die Fabrik für Gewehrläufe. Ich hatte keine Ahnung von Werkzeugmaschinen, Winkeleisen und dem ganzen komplizierten Prozeß der Metallbearbeitung. Ich führte also Hilfsarbeiten aus – ich schaffte Material herbei und brachte es wieder fort, machte sauber. Die älteren Häftlinge nahmen Rücksicht auf mich und zogen mich nicht zu schweren Arbeiten heran. Ich war ihnen dankbar dafür, und ich versuchte, aus der Situation, in der ich mich während der Arbeit befand, auf meine Weise Schlußfolgerungen zu ziehen. Es vergingen Wochen, ja Monate. Sonntagnachmittags hatten die meisten Häftlinge frei. Krzemieniewski und Woźniak führten Leszek und mich zum Block 15 , wo in einem brechend mit Häftlingen gefüllten kleinen Saal künstlerische Auftritte stattfanden.
Das war für mich ein großes Erlebnis. Ein Kulturprogramm in einem Konzentrationslager – es war unfaßbar. Talentierte Häftlinge warteten mit den verschiedensten Darbietungen auf. Es gab einen musikalischen Auftritt, ein Violinsolo, ausgeführt von einem der Häftlinge, und dann sang einer unserer Auschwitz-Gefährten, Kazimierz Jaremkiewicz, begleitet von Kazio Tymiński auf dem Akkordeon das Lied »Santa Madonna, hilf mir! Morgen kommt mein Mann aus Casablanca zurück«. Humoristische Monologe hatte Chomentowski darzubieten, und satirische Gedichte rezitierte Czesław Ostańkowicz, ebenfalls unser Auschwitz-Gefährte. Ich war meinen Kameraden sehr dankbar, daß sie mich in den Block 15 mitgenommen hatten, und das um so mehr, als ich auf diese Weise mehrere interessante Leute kennenlernte, die meist älter waren als ich. W. Szczerba, W. Czarnecki, A. Cichocki, J. Zakrzewski und andere wurden mir zu guten Bekannten, durch die ich erneut Zutritt zu künstlerischen Zusammenkünften erlangen konnte.
Eines Sonntags glückte es mir, nach dem Abendappell in den sogenannten Kinosaal zu kommen. Dort fand, mit Genehmigung der Lagerleitung, ein Häftlingskonzert statt. Die Musik hatte stets Eindruck
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