Aus der Hölle zurück
sogenannten Traversen. Die Arbeitsgänge an den Flügeln mußten innerhalb einer bestimmten Zeitspanne ausgeführt werden, die durch das Vorrücken der Traverse von einer blauen Linie bis zu einem roten Strich vorgegeben war. Wenn der vorgesehene Arbeitsablauf nicht restlos erfüllt war, mußten die Schiebebrücken manchmal angehalten werden. Dadurch verzögerte sich natürlich die Produktion. Die Fertigstellung der Tragflächen konnte dann nicht zum vorgesehenen Termin erfolgen. Der Bedarf an Flugzeugen aber war zu damaliger Zeit gewaltig.
Alle Verspätungen und Stillstandszeiten der Montagebrücken verursachten die verschiedensten Konflikte der deutschen Meister und Vorarbeiter untereinander als auch zwischen ihnen und den Zivilarbeitern aus anderen Ländern, denn auch solche arbeiteten dort. Holländer und Belgier waren am zahlreichsten vertreten. Die meisten Konflikte brachen aber zwischen den Vorarbeitern (fast alle Mitglieder der NSDAP ) und den Häftlingen des Konzentrationslagers aus. Unter den Häftlingen gab es viele Russen. Die Verständigung auf Deutsch fiel ihnen schwer. Übrigens taten die Russen oft nur so, als verstünden sie nichts. Wir verhielten uns ganz ähnlich und führten die Anweisungen und Befehle nicht immer genau aus. Das brachte die pedantischen Deutschen, die das Arbeitstempo beschleunigen wollten, zur Verzweiflung.
Auf der Montagebrücke, auf der ich zusammen mit anderen Polen, mit Franzosen, Tschechen und Russen eingesetzt war, wurde die Arbeit von zwei deutschen Meistern überwacht. Beide waren hervorragende Fachleute, die ihr Feinmechanikerhandwerk bestens verstanden. Der eine von ihnen, er war kleiner und hatte eine schwarze Tolle, gehörte zu den ruhigen, ausgeglichenen und sachlichen Menschen. Konkret erklärte er die Aufgaben, die ein Häftling ausführen sollte. Oft zeigte er selbst, wie es gemacht wurde. Der andere hingegen, ein kräftig gebauter, breitschultriger Mann mit roten Haaren, gehörte zu jener Gruppe von Deutschen, denen das Peinigen der Häftlinge ausgesprochene Freude bereitete. Er war der geborene Sadist. Am Aufschlag seiner blauen Arbeitsjacke trug er das Parteiabzeichen. Wenn er einen Häftling auch nur bei den geringsten Arbeitsverstößen ertappte, schrie er ihn nicht nur entsetzlich an, sondern drosch mit seinen harten Fäusten wie mit Dreschflegeln auf ihn ein. Ganz besonders freute es ihn, wenn er den Häftling am Kopf traf und das Blut aus der Nase oder aus Platzwunden im Gesicht schoß.
Unsere ganze Häftlingsgruppe, die zwar dem Meister mit der schwarzen Tolle unterstand, nahm sich vor diesem rothaarigen Sadisten in acht, aber trotzdem fiel ihm von Zeit zu Zeit einer von uns in die Hände. Meist waren es russische Gefangene, denen ständig Werkzeuge und Kartons mit Nieten »verlorengingen«, denen die pneumatischen Nietpistolen kaputtgingen oder die Sägeblätter zum Schneiden des Duralblechs brachen. Sie fielen besonders oft dem »Rothaarigen« zum Opfer; so nannten wir den Meister, der auf diese Weise Gebrauch von seinen Körperkräften machte. Der Rothaarige mischte sich in jede Arbeit ein, was die Häftlinge machten, gefiel ihm nicht. Er erklärte die Handgriffe so, daß man eher in Verwirrung geriet als etwas verstand. Er störte mehr, als daß er half. Sein Übereifer löste negative Reaktionen aus und führte oft zu unnötigen Konflikten. Darunter litten natürlich die Arbeit und die Leistung, aber das kümmerte ihn wenig.
Mein Vorgesetzter war der Meister, der sich menschlicher verhielt. Mehrere Male steckte er heimlich ein Stück Schmalzbrot in meinen Werkzeugkasten. Es war leicht zu erkennen, daß dem Deutschen daran gelegen war, die Häftlinge seiner Gruppe zu guter Arbeit anzuspornen. Er steckte auch anderen Brot zu.
Meine Aufgabe bestand darin, innerhalb einer Viertelstunde – vom blauen bis zum roten Strich – ein Stückchen Blech an jener Stelle des Tragflügels zu befestigen, an der später die Räder der Messerschmitt eingefahren wurden. Zu diesem Zweck mußte ich das Duralblech mit der pneumatischen Säge beschneiden und das eingepaßte Stück mit mehreren Schrauben befestigen. In den unteren Teil des bereits verschraubten Blechs mußten neun Löcher gebohrt und dann vernietet werden, damit das befestigte Blech darauf vorbereitet war, vom nächsten Häftling weiterbearbeitet und ergänzt zu werden, und damit dieser Teil des Flügels endgültig fertiggestellt werden konnte. Die Arbeit verlangte Aufmerksamkeit und Konzentration.
Weitere Kostenlose Bücher