Aus der Hölle zurück
auf mich gemacht, sie regte die Phantasie an und stillte irgendwie den Schmerz, der nach dem Verlust des Vaters in mir zurückgeblieben war. Der Besuch dieser »Auftritte« half mir sehr, meine seelische Verfassung zu verbessern.
Ich beneidete meine älteren Kameraden um den Applaus, um die Bravorufe und den begeisterten Beifall, mit denen das Häftlingspublikum die Ausführenden überschüttete. Ich kehrte in meinen Block zurück und verkroch mich unter der Decke, um für mich allein noch einmal all das zu durchleben, was ich gehört und gesehen hatte. Ich bewunderte diese älteren Kameraden, die sich trotz der täglichen schweren Arbeit in den Kommandos in ihrer kurzen Freizeit auf die Auftritte für ihre Haftgefährten vorbereiteten. Einige von ihnen kannte ich von den Auschwitzer Blocks oder Arbeitskommandos her, u. a. Tymiński, Ostańkowicz und Polak.
Bei der Arbeit in den Gustloff-Werken lernte ich mehrere Häftlinge kennen, die ihr reiches Wissen während der Arbeit, meist in den Pausen oder bei »Sitzungen« auf dem langen Balken der Latrine, an andere weitergaben. Bei W. Śniegucki und S. Zawadzki lauschte ich Belehrungen über Zeromski, Orszeszkowa und Prus, ein andermal über Słowacki und Krasiński. Es mag unglaublich klingen, aber diese Gespräche über polnische Literatur erinnerten mich an den Unterricht im Gymnasium. Doch nicht nur ich allein lauschte den Weisheiten meiner Kameraden. Von der Auschwitz-Gruppe unseres Transports nahmen an diesen »Unterrichtsstunden« auch J. Stawarz, J. Wenc, W. Poterek, K. Telesiński, Z. Wdowczyk, J. Strzelecki und J. Hurkała teil. Man mußte nur aufpassen, ob nicht von irgendwoher ein Kapo oder SS -Mann auftauchte. Diese wenigen Stunden waren ein großes Erlebnis für mich. Vielleicht wurde eben damals der überwältigende Wunsch in mir geboren, die polnische Literatur möglichst gut kennenzulernen.
In Buchenwald trafen immer mehr Polen ein. Fast jeden Monat kamen neue Transporte aus Auschwitz oder Majdanek an. Den Deutschen ging es darum, die Häftlinge in den Fabriken und Werken auszubeuten, um Rüstungsaufträge des Heeres schneller ausführen zu können. Uns erreichten Mitteilungen über die frisch eingerichteten Außenlager »Dora« und »Laura«, die nicht gerade gut klangen. »Dora« war ein unterirdisches Haftlager mit unterirdischen Fabrikstollen. Dort wurden Einzelteile für die Raketen V- 1 und V- 2 produziert. Die Arbeit bestand unter anderem darin, Gänge und unterirdische Hallen zu bauen. Selbst gesunde Häftlinge wurden dort rasch zugrundegerichtet. Ich gehörte nicht zu den Häftlingen, die unbedingt in den Gustloff-Werken gebraucht wurden, und daher hegte ich zu Recht die Befürchtung, ob man mich nicht nach »Dora« oder in ein anderes Lager verlegen werde.
Eines Tages verlas der Blockälteste beim Abendappell mehrere Häftlingsnummern, darunter auch meine. Ich erfuhr, daß ich nach Leipzig kommen sollte. Der Abfahrtstermin war nicht festgelegt, aber ich stand auf der Transportliste. Nach der Arbeit lief ich zu Zdzisław Lewandowski. Er versprach mir nachzuprüfen, ob die Transportgruppe, zu der ich gehörte, nicht zufälligerweise anderswohin gehen solle. Am nächsten Tag teilte er mir mit, daß er versucht habe, mich zurückstellen zu lassen, aber der bestätigte Marschbefehl sei bereits in die Kommandantur gewandert. Ich sollte Buchenwald also verlassen.
Lewandowski meinte tröstend, daß die Arbeitsbedingungen in Leipzig nicht die übelsten seien. Er gab mir den Namen eines deutschen Kommunisten – Boczkowski –, der dort Lagerverwalter sein sollte. Er gab mir auch einen Zettel mit einer Empfehlung für ihn. Was half’s, am Transport war nichts zu ändern. Ich verabschiedete mich von meinen Gefährten und dankte ihnen für die erwiesene Hilfe. Mir war etwas mulmig zumute, als ich das Lager verließ, in dem ich trotz alledem große Fürsorge und menschliches Mitgefühl zu spüren bekommen hatte. Erneut fuhr ich ins Ungewisse.
Anfang Oktober ging mein Transport mit ungefähr 500 Häftlingen nach Leipzig ab.
Leipzig
Das Lager in Leipzig trug den Tarnnamen »Thekla« und die Messerschmitt-Werke, in denen wir arbeiten sollten, nannte man »Erla-Werke« (»Emil«). Vom ersten Tage an wurden wir zum Bau von Baracken, Stacheldrahtzäunen und zum Einebnen des Geländes für das eigentliche Lager angetrieben. Dieses Lager befand sich etwa 500 m von einer Fabrikhalle entfernt. Dort waren bereits ein kleineres Lager, eine
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