Aus der Hölle zurück
vorhatte. Nach einer Weile brachte er mir ein Stückchen Brot und eine kleine Portion Margarine. »Da, nimm das! Du kannst es gebrauchen. Und in ein paar Tagen komm wieder zu mir, hierher! Dann unterhalten wir uns.« Ich drückte ihm herzlich die Hand und kehrte in meinen Block zurück. Die Anwesenheit und die Fürsorge meiner Kameraden aus Poznań hatte mich ein wenig beruhigt. Ich begann wieder daran zu glauben, daß die Krise des Auschwitz-Transports vergehen werde.
Mitte Juli war die Arbeit am Bau der Bahnverbindung zwischen Weimar und Buchenwald abgeschlossen. Zuvor hatte man eine Probefahrt veranstaltet, an der SS -Leute und Vertreter der Nazi-Verwaltung teilgenommen hatten. Viele polnische Häftlinge waren bei dem Bau umgekommen. Der Schwerpunkt der Arbeiten verschob sich nunmehr auf das Errichten der Fabrikhallen, in denen die Häftlinge arbeiten sollten. »Gustloff-Werke« lautete der Name des Betriebs. Nach der Fertigstellung der Hallen trafen nach und nach die Maschinen ein, und man begann auf den Werkbänken mit der Herstellung von Gewehrläufen. Die billigsten Arbeitskräfte waren natürlich die Häftlinge. Unter der Aufsicht einer kleinen Gruppe ziviler Meister wurden sie bei dieser Produktion eingesetzt.
Anfänglich war ich einem kleinen Arbeitskommando zugeteilt, das sich »Maschinenablader« nannte. Wir waren fünf oder sechs Mann und fuhren unter der Aufsicht eines SS -Postens mit einem Lastwagen nach Erfurt, Jena, Gera oder Eisenach, um die Maschinen für die Fabrik herbeizuschaffen, die auf dem an das Lager Buchenwald grenzenden Gelände entstand. Es war Anfang Juli 1943 . Die Deutschen boten alle Kräfte auf, um den Bedarf ihrer weiterhin kriegführenden Armeen zu decken.
Die Lastwagenfahrten waren für uns Häftlinge zweifellos eine Attraktion. Vom offenen Wagen aus konnten wir die zauberhaft schöne Landschaft Thüringens bewundern, durch die wir fuhren.
Ich hatte mich ununterbrochen in Baracken, Blocks, hinter Stacheldraht oder Gittern befunden, ständig auf Appellen, beim Antreten und auf dem Marsch der Arbeitskommandos. Die Begegnung mit dem schönen Landschaftsbild war für mich ein tiefes Erlebnis. Es gab also noch eine Welt, die sich von jener unterschied, in der ich um das Überleben kämpfen mußte. Die Sonne schien für die Menschen in der Freiheit. Für uns Häftlinge aber hatte sie nicht jenen Glanz und jene Wärme, die ein freier Mensch verspürte. Irgendwie war ich aber innerlich erfreut, als ich auf den Wiesen bunte Blumen und das vielfarbige Grün der Wälder erblickte. Irgend etwas riß mich innerlich der Freiheit entgegen, aber der SS -Mann mit dem Karabiner mahnte zur Vernunft.
Das Auf- und Abladen der Maschinen, die wir befördern sollten, war nicht sonderlich beschwerlich. Noch verfügte ich über Kraftreserven, die ich in der Auschwitzer Lagerküche gesammelt hatte. Nach einer Woche wurde ich jedoch in ein anderes Kommando versetzt. Diesmal arbeitete ich in einer Tischlergruppe, die mit der Endausstattung eines Luftschutzbunkers für Nazi-Würdenträger im Weimarer Schloß beschäftigt war. Es war eine neue Arbeit mit neuen Kollegen. Wir arbeiteten in Kellerräumen, die vollständig mit einer besonderen Holztäfelung versehen wurden, hinter der Telefonkabel und andere Fernmeldeleitungen verliefen. Ich war einer der jüngsten und spielte daher den Gehilfen.
Eines Tages, als mich der Meister des Kommandos auf den Schloßhof gerufen hatte, um Material zu holen, erblickte ich eine gerade einfahrende Limousine. Ich beugte mich vor und tat, als würde ich Bretter hervorziehen, beobachtete aber aus den Augenwinkeln heraus, wer da gekommen war. Der Limousine entstiegen zwei Nazi-Würdenträger in braunen Uniformen und mit Hakenkreuzbinden am Arm. Wie sich herausstellte, war der eine Baldur von Schirach und der andere Dr. Ley. Ihre Namen erfuhr ich erst später von einem deutschen Kapo, der schon über acht Jahre im Lager saß. Er, der die Nazis haßte, gehörte zu den wahrhaft guten, grundehrlichen Menschen. Manchmal teilte er Suppe und Brot mit anderen Häftlingen. In Auschwitz wäre das unmöglich gewesen. In Buchenwald waren die »Roten« an der Macht, und ihre Einstellung zu den Genossen anderer Nationalität war eine völlig andere. Sie hatten eine humane Einstellung. Es waren wahre Kommunisten, erzogen im Geist der besten ideellen Vorbilder. Obwohl sie schon sechs bis zehn Jahre im Konzentrationslager saßen, hatten sie ihre Menschenwürde nicht eingebüßt.
Ende
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