Aus der Welt
weinen können, als der Anwalt sagte, dass er nicht glaube, dass das Haus die Hypothek decken würde, geschweige denn die 23 000 Dollar Anwaltskosten, die sich in den letzten Jahren angehäuft hätten. Und ich hätte weinen können, als auf der Rückfahrt nach Cambridge im Radio Mel Tomés Lied What is this thing called love gespielt wurde.
Ja, es gab in den vier Tagen, die ich schließlich in Old Greenwich verbrachte, reichlich Gelegenheit, zusammenzubrechen.
Obwohl ich unglaublich traurig darüber war, was in unserer Beziehung alles gefehlt hatte, fiel es mir sehr schwer, um jemanden zu weinen, der sich auf eine dermaßen verdrehte, armselige Weise selbst belogen hatte – so sehr, dass die Beziehung zum einzigen Kind daran zerbrach. Aber wenn einen das Leben etwas lehrt, dann, dass man die Illusionen anderer nicht zerstören kann. Egal, wie gut man das Gegenteil beweisen k ann – sie werden ihren falschen Überzeugungen treu bleiben, und zwar mit einer Vehemenz, die einen ebenso erstaunt wie erzürnt. Erst viel später begreift man, dass sie sich nur deshalb geweigert haben, weil die Wahrheit alles infrage stellen würde, was ihnen etwas bedeutet hat. Haben sie die Lüge erst einmal verinnerlicht, kann man nichts mehr tun, was sie davon abbringt. Aus Lüge wird Wahrheit – und zwar eine, die nie mehr angezweifelt werden kann.
Auf halber Strecke klingelte mein Handy. Eine Stimme meldete sich, die ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen konnte. Sie gehörte Adrienne.
»Hallo, Partner«, schrie sie über die Freisprechanlage.
»Hallo, Adrienne«, sagte ich in einem Ton, der erahnen ließ, dass ich mich nur mit Mühe zur Höflichkeit zwang.
»Jetzt kling doch nicht so vorwurfsvoll!«, sagte sie und ließ ihrer Bemerkung ihr typisches Hyänenlachen folgen.
»Vielleicht hat dir dein Schnuckelchen noch nicht erzählt, dass meine Mutter vor zwei Tagen feuerbestattet wurde.«
»Oh, was bin ich nur für ein Hirni !«, rief sie. »Bin ich doof! Kein Wunder, dass du mich hasst.«
»Gibt es irgendeinen Grund für deinen Anruf, Adrienne?«
»Hör mal, trotzdem, mein herzliches Beileid, okay?«
»Wofür? Weil ich meine Mutter verloren habe oder den Mann, mit dem ich angeblich zusammenlebe?«
»Theo hat dich doch nicht etwa verlassen, oder?«, fragte sie schockiert.
»Weißt du, Adrienne, ein gewisses Ausmaß an Scheinheiligkeit kann ich ja noch ertragen. Aber was du da gerade bringst …«
»Denk, was du willst, Jane. Ich rufe nur an, um dir zu sagen, dass du in den nächsten vier Wochen eine Überweisung über 150 000 Dollar von Fantastic Filmworks erhalten wirst.«
»Kann ich das bitte schriftlich haben?«
»Du traust mir wirklich nicht, was?«
»Du schläfst mit meinem Freund … insofern traue ich dir kein bisschen.«
»Ich wollte dir nur diese frohe Botschaft verkünden. Ich hoffe, du bist zufrieden.«
»Ich bin zufrieden, wenn ich das Geld sehe – und ich will eine E-Mail von dir, in der steht, dass es innerhalb eines Monats überwiesen wird. Was Theo betrifft, ist es mir wirklich egal, ob ich ihn noch mal wiedersehe oder nicht. Das kannst du ihm gerne ausrichten. Für mich ist es aus.«
»Ich weiß nicht, was ich damit zu tun haben soll.«
»Mach dich nicht lächerlich.«
Dann war unser Gespräch beendet.
Ich sollte nie eine E-Mail von Adrienne bekommen. Nach diesem Anruf vergingen mehrere Wochen, ohne dass ich auch nur das Geringste von Theo hörte. Dafür traf ich eines Nachmittags einen seiner Kollegen aus dem Film Archive in der Brattle Street. Er wurde nervös, als er mich sah, und gab zögernd zu, dass er neulich eine Mail von Theo erhalten habe, in der stand, dass er sich gerade ein paar Wochen an der Amalfi-Küste »entspannen« würde.
»Du weißt nicht zufällig, wo genau an der Amalfi-Küste – und in welchem Hotel er abgestiegen ist?«
»Äh …, das hat er mir nicht gesagt.«
Lügner. Aber der Kerl hatte meine Wut nicht verdient, also sagte ich nur, ich hätte mich gefreut, ihn zu treffen, und verabschiedete mich hastig. Sobald ich wieder zu Hause war, googelte ich »Amalfiküste Fünfsternehotels«, da ich davon ausging, dass sich die extravagante Adrienne mit nichts zufrieden gab, was kein Luxushotel war. Es gab neun solcher Hotels in und um Amalfi. Beim vierten Anruf hatte ich Erfolg und wurde direkt zur Suite von »Signor Morgan« durchgestellt. Und wer ging dran?
» Buon giorno, buon giorno «, sagte Adrienne, nachdem sie abgenommen hatte, allerdings um mindestens drei
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