Aus der Welt
und darauf bestanden hatte, dass ich eine Tasse lauwarmen Krankenhauskaffee mit ihm trank. »Aber wenn ich ehrlich sein soll, lässt der Krebs nur wenig vom ursprünglichen Aussehen eines Menschen übrig. Es wäre besser, wir würden sie vorher noch etwas herrichten.«
»Ich habe sie gestern gesehen – ich weiß, wie sie am Ende aussah. Da sie in einem geschlossenen Sarg aufgebahrt wird, der anschließend verbrannt wird …«
»Wenn das Ihr Wunsch ist, Miss Howard, ist das auch kein Problem. Ich versuche nicht, Ihnen noch etwas zu verkaufen. Sagen Sie mir einfach, was Sie wollen, dann sorge ich dafür, dass Sie es bekommen. Außerdem werde ich von nun an bis zur Einäscherung für Sie da sein, damit alles so glatt läuft wie möglich.«
Nachdem wir uns auf ein paar grundlegende Dinge geeinigt hatten, ging er auf die Frau am Empfang des Leichenschauhauses zu und sagte, dass wir die Verstorbene noch einmal sehen wollten. Sie wählte eine Nummer. Nach wenigen Minuten bekam sie einen Rückruf und sagte: »Sie dürfen jetzt hineingehen.«
Anthony führte mich durch eine Doppeltür und eine Reihe von langen, kalten Fluren zu einer Mattglastür, auf der »Aufbahrungsraum« stand. Während er daran klopfte, legte er beruhigend die Hand auf meine Schulter.
»Sind Sie so weit, Miss Howard?«
Ich nickte. Ein Aufseher öffnete die Tür – und wir folgten ihm hinein.
Ich hatte mich auf der langen Fahrt von Cambridge hierher sorgfältig auf diesen Moment vorbereitet. Wie ich Anthony gesagt hatte, war ich durch ihren Anblick im Krebsendstadium tatsächlich auf die Zerstörung vorbereitet, die sie hatte erleiden müssen. Aber als man mich in diesen schlichten, schmucklosen Raum führte und ich auf die winzige, verschrumpelte Gestalt auf der Rollbahre hinuntersah – ein blaues Laken war straff bis unter ihr Kinn gezogen, ihre Züge waren ausgemergelt, ihre Lippen zur Hälfte vom Krebs zerfressen, ihre Augen, die sich nie mehr öffnen würden, fest geschlossen –, konnte ich nur noch denken: Das ist die Frau, die mir das Leben geschenkt hat, die mich erzogen und so viel für mich aufgegeben hat. Die mir nie sagen konnte, dass sie mich liebt, falls sie es jemals tat. Und umgekehrt konnte ich ihr auch nie sagen, dass ich sie geliebt habe. Vielleicht weil, weil … Na ja, weil ich mich immer so sehr nach ihrer Liebe sehnte. Und als diese Liebe nicht erwidert wurde, als mir zunehmend klar wurde, dass sie mir die Schuld an ihrem Unglück gab …
Anthony Sabatini sah, wie ich den Kopf senkte und ein Schluchzen unterdrückte. Das war der einzige Moment, in dem ich kurz davorstand, zu weinen. Ich weinte nicht, als ich später am Nachmittag ihre Haustür aufschloss und mich auf das schmale Einzelbett setzte, das in meinem ehemaligen Kinderzimmer stand. Auch nicht, als ich mich daran erinnerte, wie oft ich mich in meiner Kindheit und Jugend hier eingeschlossen und davon geträumt hatte, dem allen zu entfliehen. Ich weinte nicht, als ich ihren Anwalt traf und erfuhr, dass Mom in den letzten Jahren zwei Hypotheken auf das Haus aufgenommen hatte, da man ihre Stunden in der Bibliothek radikal gekürzt hatte. Da sie keinerlei Rücklagen besessen hatte, musste sie Hypotheken aufnehmen, um überleben zu können.
»Sie wusste, dass ich Geld habe«, hätte ich dem Anwalt am liebsten gesagt. »Und ich habe ihr schon einmal gegen ihren Willen ausgeholfen. Warum hat sie mich bloß nie gefragt?«
Aber ich kannte die Antwort auf diese Frage.
Ich hätte weinen können, als der Priester, der ihren spärlich besuchten Trauergottesdienst abhielt (gab es tatsächlich zwölf Menschen, die sie liebten?), von mir als »ihrer heiß geliebten Tochter Jane« sprach. Ich hätte weinen können, als der kitschige Vorhang in der kitschigen Kapelle des Krematoriums aufging und sich der Sarg durch die rituellen Flammen in Richtung Ofen bewegte. Ich hätte weinen können, als am nächsten Tag ein Paket an ihre Adresse geliefert wurde, ich zum Todd Point Beach fuhr und ihre Asche in den wütenden Wogen des Atlantiks verstreute. Ich hätte weinen können, als ich zwei Kisten mit persönlichen Andenken packte – den wenigen Schmuck, den sie besessen hatte, ein paar Familienfotos, einige ihrer geliebten Mel-Tomé-Alben (sie schwärmte von seiner Stimme, wie »samtener Nebel« sagte sie immer) –, und wies den Anwalt an, jemanden zu beauftragen, der den Rest zusammenpackte und einer gemeinnützigen Organisation spendete, und das Haus dann zu verkaufen. Ich hätte
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