Aus der Welt
konnte, sagte mir eine innere Stimme (jene, die stets auf Selbsterhalt bedacht war): »Es reicht.« Ich verließ die Kabine und bahnte mir meinen Weg durch das Labyrinth aus Krankenhausfluren. Nach fünf Minuten saß ich wieder im Auto und fuhr auf der Interstate 95 nach Norden. Ich wollte eine möglichst große Entfernung zwischen mich und Mom bringen. Ich fuhr ohne Pause durch und kam kurz vor Mitternacht in Cambridge an. Christy war noch wach, saß mit einem Glas Wein im Wohnzimmer und wunderte sich nicht weiter, mich zu sehen.
»Ich habe in den letzten Stunden mehrfach versucht, dich auf dem Handy zu erreichen. Aber ich habe mir schon gedacht, dass …«
»Ich hatte es ausgeschaltet.«
»Das Krankenhaus hat angerufen.«
»Ist sie …?«, fragte ich.
»Vor etwa zwei Stunden. Die Ärzte haben sich gefragt, wo du geblieben bist.«
»Ich bin … davongelaufen.«
Christy stand auf und umarmte mich. Aber ich brach nicht zusammen, wurde nicht von Schuldgefühlen erdrückt oder haderte mit Gott, warum meine Mutter eine so böse Frau hatte sein müssen, die alles an ihrer Tochter ausließ, die sich nach ihrer Liebe verzehrte. Nein, ich empfand keinerlei reinigende Trauer, wie man sie beim Tod eines Elternteils empfinden sollte.
Ich fühlte mich nur … erschöpft.
»Geh ins Bett«, sagte Christy, die sah, wie fertig ich war. »Schlaf neun, zehn Stunden – ich werde Emily morgen früh zur Krippe bringen.«
»Das ist wirklich lieb von dir.«
»Halt die Klappe!«, sagte sie lächelnd.
Ich gehorchte – und schlief tatsächlich zehn Stunden durch. Als ich wach wurde, fand ich eine Nachricht von Christy:
Wenn Du das liest, wird Emily zufrieden in der Krippe spielen. Ich hoffe, Du konntest Dich etwas ausruhen und es geht Dir den Umständen entsprechend gut. Vielleicht willst Du ja Deinen geliebten Theo auf dem Handy anrufen. Er hat sich gemeldet, während Du schliefst, und wollte Dir sagen, dass sie gerade einen amerikanischen Deal für den Film abgewickelt haben … für drei Millionen Dollar.
Dazu sollte ich Dir wohl gratulieren. Du bist reich.
8
Die Nachricht von Theos wahnsinnigem Erfolg wurde von einer dringenderen Sorge überschattet: der, das Begräbnis meiner Mutter auszurichten.
Nachdem ich aufgewacht und Christys Zettel entnommen hatte, dass Theo reich war, rief ich sofort im Krankenhaus an und begann mit der Organisation. Innerhalb einer Stunde hatte ich nicht nur geregelt, dass der Leichnam von einem Bestatter abgeholt wurde, sondern auch den episkopalischen Priester in Old Greenwich erreicht und eine Beerdigung in zwei Tagen vereinbart. Dann rief ich die Bibliothek an und informierte die Kolleginnen meiner Mutter, dass sie gestorben war. Eine bat ich, ihre Freunde zu verständigen, falls sie welche gehabt hätte, und ihnen vom Beerdigungsgottesdienst am Freitagvormittag zu erzählen.
Ich hatte gerade alles erledigt, als Christy zurückkam und Kaffee machte. Ich nahm den Becher, den sie vor mich hingestellt hatte, atmete tief durch und rief Theo an. Er ging nach dem ersten Klingeln ans Telefon – und klang vom ersten Moment an wie ein Mann, der gerade die Bank von Monte Carlo überfallen hat.
»Hal-lo«, sagte er gedehnt und freundlich. »Hör zu, das mit deiner Mom tut mir echt leid. Das ist hart …«
»Würdest du mir bitte erklären, wo du die letzten drei Wochen gesteckt hast?«
»London, Paris, Hamburg und Cannes – und ich habe Neuigkeiten für dich.«
»Deine Neuigkeiten sind mir nicht so wichtig im Vergleich zu der Tatsache, dass du fast einen Monat aus unserem Leben verschwunden bist.«
»Ich war weg und habe Geld für uns verdient. Richtig viel Geld. Eine Million Dollar für Fantastic Filmworks, um genau zu sein.«
»Gratuliere, gut gemacht. Aber das Geld ist zweitrangig im Vergleich zu …«
»Zweitrangig? Das ist mal wieder typisch für dich, Jane. Du musst mir natürlich meinen Triumph versauen und mir erklären, wie wenig ich dir bedeute.«
»Und das sagst ausgerechnet du, nachdem du mir erst kürzlich erklärt hast, dass du dich ohne lang zu fackeln für diese Tussi entscheiden würdest, wenn du wählen dürftest?«
»Nun, die macht mich wenigstens nicht klein.«
»Ich mache dich nicht klein. Ich bin wütend – und zwar zu Recht –, weil du uns verlassen hast.«
»Jane, dass deine Mutter tot ist, tut mir leid, auch wenn du die Alte begreiflicherweise sowieso nicht ausstehen konntest.«
»Vielen Dank für diesen sensiblen Hinweis.«
»Was willst du von mir hören?
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