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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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Lügen?«
    »Du schläfst mit ihr, stimmt’s?«
    »Hast du Beweise dafür? Eindeutige Beweise?«
    In diesem Moment warf ich das Telefon quer durchs Zimmer.
    Ein schockiertes Schweigen folgte, bis Emily von ihrem Malbuch aufsah und sagte: »Mommy hat mit dem Telefon geworfen.«
    »Mommy hatte bestimmt gute Gründe, das Telefon zu werfen«, bemerkte Christy.
    »Mommy braucht einen Drink«, sagte ich.
    Aber ich trank den Wodka nicht, den Christy mir anbot, weil ich die ganze Strecke zum Stamford Medical zurückfahren musste. Christy rief die Vorsitzende ihrer Anglistik-Fakultät in Oregon an und erzählte irgendetwas von einem familiären Notfall. Sie würde erst in drei Tagen zurück sein.
    »Das hättest du nicht tun müssen«, sagte ich, nachdem sie aufgelegt hatte.
    »O doch. Und jetzt sag nicht, dass ich mir wegen dir keine Umstände machen soll. Du hast weiß Gott genug um die Ohren! Und wenn ich dir einen guten Rat geben darf: Sieh zu, dass du dein Geld jetzt von Theo zurückbekommst … und zwar mit Zinsen. Sobald du deine Investition zurückhast, sagst du ihm, dass er keine Rolle mehr in eurem Leben spielt. Er wird sich natürlich an Emilys Erziehung beteiligen wollen. Ich sage das nur ungern, aber der Typ ist wirklich gestört.«
    »Aber du mochtest ihn, als du ihn kennengelernt hast.«
    »Allerdings. Weil er ein witziger, origineller Typ ist. Es stimmt auch, dass ich dich ermutigt habe, das Kind zu behalten … nicht, weil Theo der ideale Vater wäre, sondern, weil du es dir nie verziehen hättest, wenn …«
    Ich legte den Finger auf die Lippen.
    »Ich bitte dich!«, sagte Christy. »Aber sieh dir Emily nur an, und sage mir, ob mein Rat – der nur dein Bauchgefühl widergespiegelt hat –, falsch war.«
    »Ich nehme an, du wusstest, was ich wollte.«
    »Nein, du wusstest, was du wolltest – und hast es bekommen. Sie ist wirklich fantastisch. Auch wenn ein Kind für mich immer noch nicht infrage kommt, muss ich doch zugeben, dass ich jedes Mal sehr neidisch auf dich bin, wenn ich Emily sehe.«
    Wie auf Kommando sah meine Tochter von ihrem Malbuch auf und sagte: »Christy sagt komische Sachen.«
    Eine halbe Stunde später verabschiedeten sie sich von mir. Ich umarmte Emily, nachdem ich meine Tasche – mit einem schwarzen Kostüm darin – in den Kofferraum gelegt hatte.
    »Warum fährt Mommy weg?«
    Das war der Moment, in dem ich fast zusammengebrochen wäre. Das merkte auch Emily.
    »Du bist traurig!«, sagte sie.
    »Deine Mom ist sehr müde«, sagte Christy. »Sie hat es satt, dass andere sie traurig machen.«
    »Ich mache Mommy nicht traurig«, sagte Emily.
    Jetzt stand ich wirklich kurz davor, die Fassung zu verlieren. Aber irgendwie schaffte ich es, mich zu beherrschen, drückte Emily an mich und flüsterte: »Du bist das Beste, was mir je passiert ist.«
    Mit großem Widerwillen gab ich sie wieder in Christys Obhut.
    »Kannst du wirklich noch fahren?«, fragte sie.
    »Ja ja«, log ich und versprach ihr, sofort anzurufen, wenn ich in Stamford wäre.
    Wie sich herausstellte, bewältigte ich die Fahrt, ohne – wie es sich eigentlich gehört – traurig oder schuldbewusst zu sein. Vielleicht war ich auch nur abgestumpft. Oder aber Moms und Theos verletzende Bemerkungen hatten mich merkwürdig trotzig gemacht. Denn ich nahm mir fest vor, ihretwegen nicht zusammenzubrechen. Doch selbst in einem so extremen Moment schafft es das Bedauern, alles zu überdecken. Vor allem, wenn es auf der schlichten Erkenntnis beruht, dass es nicht so sein müsste. Auch wenn man genau weiß, dass man reden könnte, so viel man wollte – man könnte doch nichts daran ändern.
    Als ich das Krankenhaus erreichte, brachte man mich direkt ins Leichenschauhaus. Ich hatte dem Inhaber des Beerdigungsinstituts, Anthony Sabatini, gesagt, dass ich gegen drei eintreffen würde – und er wartete bereits in der Halle des Leichenschauhauses auf mich. Er war ein kleiner, gedrungener Mann von Anfang vierzig, der erwartungsgemäß einen schwarzen Anzug trug. Er war besorgt und feinfühlig, ohne schleimig zu sein, sodass er mir auf Anhieb sympathisch war. Ich spürte, dass er dank seines Berufes Erfahrung hatte, Menschen in extremen Lebenssituationen richtig einzuschätzen. Obwohl ich nichts dergleichen erwähnte, begriff er sofort, dass ich allein hier war und niemanden hatte, der mir in den nächsten Tagen zur Seite stehen würde.
    »Sie können Ihre Mutter noch einmal sehen, wenn Sie das möchten«, sagte er, nachdem er sich vorgestellt

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