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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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Eisbecher gibt«, sagte ich. »Aber erst musst du etwas Anständiges essen. Einen Hamburger zum Beispiel.«
    »Sind Hamburger gesund?«
    »Gesünder als Eisbecher.«
    Plötzlich kam es vor uns zu einem Tumult. Eine ältere Frau hatte ihren Terrier ausgeführt. Die Leine war gerissen, und der Terrier lief auf uns zu. Die Frau rief seinen Namen. Emily riss sich mit weit aufgerissenen Augen von mir los und rannte dem Hund hinterher. Ich schreckte auf und schrie ihr nach, sie solle sofort stehen bleiben. Aber sie hatte den Bürgersteig bereits verlassen …
    Genau in diesem Augenblick kam wie aus dem Nichts ein Taxi um die Kurve geschossen.
    Wieder schrie ich den Namen meiner Tochter, rannte ihr nach.
    Aber ich kam zu spät.

TEIL VIER

1
    Sie fanden mich in einer Schneewehe. Wie ich später erfuhr, war es ungefähr zwei Uhr morgens. Wären sie eine Stunde später gekommen, wäre ich tot gewesen.
    Aber genau deshalb war ich ja in die Schneewehe gefahren, hatte den Motor abgestellt, die zwei Dutzend Zopiclon aus meiner Tasche genommen und auf den Moment gewartet, an dem ich endlich die Kraft fand, all meinen …
    Mut zusammenzunehmen? Nein, »Mut« traf es nicht, denn an meinem Vorhaben war nichts Mutiges. Ich wollte nur, dass alles vorbei wäre. Nach all den Wochen einer so unerträglichen Agonie wollte ich mich endlich in die einzig erträgliche Lösung schicken. Als ich dann in die verlassene Straße einbog und den Schnee sah, der sich am Rand des dunklen Waldes aufgetürmt hatte, machte ich eine Vollbremsung. Ich fischte die Tabletten aus meiner Tasche, schraubte den Deckel meiner Wasserflasche ab und stopfte mir sämtliche Zopiclon auf einmal in den Mund. Ich erstickte beinahe daran, als ich sie mit Wasser hinunterspülte und die vielen Tabletten meine Speiseröhre reizten. Dann machte ich die Autoheizung aus, schnallte mich ab, deaktivierte den Airbag und trat aufs Gaspedal.
    All das geschah in weniger als einer halben Minute. Ein schneller, instinktiver Entschluss, ohne nachzudenken. Vielleicht ist das bei vielen Selbstmorden so: erst Wochen, Monate, Jahre des Nachdenkens und Zögerns. Und dann steht man eines Morgens am Bahnsteig, hört, wie der Zug einfährt, und …
    Autoheizung aus. Abschnallen. Vierundzwanzig starke Schlaftabletten und das damit verbundene Brennen im Hals. Ich trat aufs Gaspedal. Der Wagen schoss vorwärts und bohrte sich tief in den Schnee, bevor er auf ein Hindernis prallte. Ich flog nach vorn. Alles wurde schwarz. Und …
    Das hätte es sein sollen. Das Ende. Hervorgerufen durch den Aufprall, die Tabletten, die Kälte – oder eine Kombination aus allen dreien.
    Aber das war nicht das Ende. Denn …
    Ich wachte auf. Und fand mich in einem schmalen, rollbahrenartigen Bett wieder. Als der Raum Konturen annahm, sah ich, dass die Wände in einer Krankenhausfarbe gestrichen und die Deckenplatten beschädigt und schimmelverkrustet waren. Ich versuchte, die Arme zu heben, aber es gelang mir nicht. Ich spürte Widerstand, vielleicht Gurte. Ich blinzelte und merkte, dass ein Auge zubandagiert war. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen. Ein Fehler: Sowohl die Ober- als auch die Unterlippe war genäht worden. Mein Mund war wie ausgedörrt. Als ich nach links schielte, sah ich, dass Schläuche von meinen reglosen Armen zu irgendwelchen Apparaten neben der Rollbahre führten. Ich spürte auch etwas Spitzes, Unangenehmes, das aus mir herausragte. Selbst in diesem benebelten Zustand – schließlich war ich gerade erst von den Toten zurückgekehrt – begriff ich sofort, dass man mir einen Urinkatheter gelegt hatte.
    O Gott, ich lebe.
    »Oh, hallo. Sie sind wieder bei Bewusstsein.«
    Die Stimme klang sachlich. Sachlich und trocken. Ich versuchte mich aufzusetzen, doch ohne Erfolg. Ich blinzelte mit meinem guten Auge – und konnte die Silhouette einer Frau ausmachen, die vor mir stand. Noch ein Blinzeln, und ihre Konturen wurden schärfer. Sie war sehr dünn, tiefe Falten hatten sich in ihr markantes Gesicht gegraben. Doch es waren ihre Augen, die mich aus der Fassung brachten. Augen, die keinerlei Selbstmitleid duldeten. Augen, die die Welt mit rücksichtsloser Klarheit betrachteten. Augen, die sogar mir, in meinem halb bewusstlosen Zustand, sagten: Sie weiß alles.
    »Damit haben Sie nicht gerechnet, was?«
    »Wo bin ich?«, fragte ich.
    »Im Mountain Falls Regional Hospital.«
    »Mountain Falls?«
    »Ja, genau. Mountain Falls, Montana. Sie hatten vor etwa zwei Tagen einen ›Unfall‹ auf der

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