Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
Vom Netzwerk:
musste ich während der Bewusstlosigkeit gegen die Gurte angekämpft haben, da beide Arme tiefrote Striemen aufwiesen. Schwester Rainier sah, wie ich sie anstarrte.
    »Die verblassen in ein, zwei Tagen … außer, Sie rasten aus, und ich muss Sie wieder festgurten. Aber das werden Sie nicht, stimmt’s?«
    »Nein.«
    »Braves Mädchen! Jetzt rollen Sie sich bitte vorsichtig auf die rechte Seite – ganz langsam natürlich.«
    Ich gehorchte, schaffte es aber nicht, mein eingegipstes Bein auf das gesunde zu legen.
    »Jetzt müssen Sie nur einmal tief einatmen und die Luft so lange anhalten, wie ich es Ihnen sage.«
    Ich spürte, wie sie den Krankenhauskittel, in den man mich gesteckt hatte, hinten anhob.
    »Sind Sie so weit?«, fragte sie. »Eins, zwei, drei, tief einatmen – und ja nicht bewegen!«
    Wieder gehorchte ich. Ich spürte eine unheimliche Erleichterung, als der Katheter herausgezogen wurde – gefolgt von einem Urinstrahl.
    »Mist«, presste ich zwischen meinen genähten Lippen hervor.
    »Keine Sorge. Das passiert bei jeder Katheterentfernung. Trotzdem sollten wir Sie von der Rollbahre holen, bevor Sie sich wund liegen. He, Pfleger …«
    Ein großer, kahl geschorener Mann mit einem baumstammdicken, über und über tätowierten Bizeps kam durch die Schwingtür.
    »Das ist Ray«, sagte Schwester Rainier. »Er ist sehr nett, solange keiner unserer Gäste versucht, sich zu verletzen oder uns ohne Entlassungspapiere zu verlassen. Aber Sie werden nichts dergleichen tun, was, Dr. Howard?«
    »Nein«, flüsterte ich.
    »Ich glaube, wir haben es hier mit einem wirklich netten Gast zu tun, Ray. Was meinst du?«
    Ray starrte auf seine Turnschuhe.
    »Wir werden sehen«, meinte er schließlich.
    »Wie wär’s, wenn wir die Professorin aus dem Bett heben und sie ins Bad bringen? Ich rufe Schwester Pepper, damit sie sie ein bisschen mit dem Schwamm wäscht und ihr den schmutzigen Kittel auszieht. Sind Sie bereit, Frau Professor?«
    Ich nickte.
    »Laut! Ich will es laut hören.«
    »Ja, ich würde gern gewaschen werden.«
    »Ein ganzer Satz – das nennt man Fortschritt! Gut, Ray, sie gehört dir. Wir sehen uns später.«
    »Mein Auge«, sagte ich.
    »Was ist damit?«, fragte Schwester Rainier.
    »Wie schlimm …«
    »Sie meinen, ob Sie es verlieren werden?«
    Ich nickte, aber bevor mich Schwester Rainier dafür rügen konnte, schaffte ich es, zu fragen: »Ja, werde ich es verlieren?«
    »Nicht, wenn unser Augenchirurg recht behält, der fünf Stunden damit verbracht hat, Splitter der Windschutzscheibe aus Ihrer Augenhornhaut und von wer weiß woher zu pflücken. Aber Sie werden auf dieser Seite noch eine Weile nichts sehen können.«
    »Was habe ich mir noch für Verletzungen zugefügt?«
    »Was habe ich mir … zugefügt ?«, sagte Schwester Rainier. »Das gefällt mir, wirklich. Die Frau übernimmt Verantwortung für ihr Handeln. Was sagst du dazu, Ray?«
    »Darf ich jetzt anfangen?«, fragte er.
    »Na klar. Aber pass gut auf die vielen Schläuche, Kabel und so weiter auf! Sie muss überwacht bleiben.«
    Ray mochte vielleicht aussehen wie ein Rocker, der schon mal einen rohen Stier verzehrt hat, aber er war sehr geschickt darin, mich von meinen Apparaten loszustöpseln und den Behälter mit der Nährstofflösung an einen Infusionsständer zu hängen. Dann schob er seinen baumstammdicken Arm ohne Vorwarnung unter mich und hob mich überraschend feinfühlig und rücksichtsvoll in den Rollstuhl. Währenddessen sprach Schwester Rainier weiter:
    »Außer, dass Sie sich das Schienbein gebrochen und Ihr Auge böse verletzt haben, hatten Sie eine schwere Gehirnerschütterung. Sie haben auch einen dicken Striemen über die ganze Stirn. Dann waren da noch die vielen Glassplitter in Ihren Lippen – aber wie ich sehe, sind Sie bereits mit der Zunge über die Nähte gefahren und wissen also Bescheid. Habe ich noch etwas vergessen? Die Gehirnerschütterung hat ihr Hirn vierundzwanzig Stunden lang anschwellen lassen – aber der Neurologe hat Sie stabilisiert. Sie hatten auch schlimme Blutergüsse an Brust und Becken. Das war wirklich sehr schlau, sich abzuschnallen und den Airbag zu deaktivieren. Oh, Sie sind übrigens gegen einen Baum gefahren. Und als dieser amerikanische Ureinwohner namens Mr Big John Lightfoot die Straße herunterkam und Ihre Hecklichter aus der Schneewehe ragen sah, hielt er nicht nur an, um nachzuschauen, sondern rief auch gleich übers Handy die Polizei. Ja, er hat Sie sogar mit seiner Seilwinde da

Weitere Kostenlose Bücher