Aus der Welt
rausgezogen. Sie können Mr Big John Lightfoot wirklich dankbar sein, dass er Ihnen das Leben gerettet hat. Der Typ hat sofort Hand angelegt. Sobald er Sie aus dem Wald gezogen hatte, öffnete er die einzige Wagentür, die nicht zerbeult war, und sah, dass Sie unterkühlt waren. Die Polizei vermutet, dass Sie etwa anderthalb Stunden da drinlagen, bis Big John Sie gefunden hat. Der Typ sieht, dass die Autoheizung aus ist. Also dreht er sie auf und wärmt Sie. Dann findet er das leere Fläschchen Tabletten auf dem Wagenboden, zählt zwei und zwei zusammen – und jetzt kommt der heroische Teil –, steckt seinen Finger in Ihren Rachen und sorgt dafür, dass Sie alles auskotzen. Trotzdem mussten wir Ihren Magen auspumpen, als Sie herkamen. Sie haben so viele Zopiclon genommen, dass Sie von Glück sagen können, keine schweren Hirnschäden davongetragen zu haben. Aber Big Johns geistesgegenwärtige Reaktion dürfte Ihnen dieses Schicksal erspart haben. Ich an Ihrer Stelle würde Mr Big John Lightfoot einen riesigen Dankesbrief schreiben … vorausgesetzt, Sie wollen sich dafür bedanken, noch am Leben zu sein. Das ist so weit alles, was Ihre körperlichen Schäden betrifft. Sie werden eine Weile hierbleiben müssen. Rein körperlich könnten Sie zwar in etwa einer Woche auf Krücken hier raushumpeln, aber wegen dem, was Ihnen im Kopf rumgeht, möchten wir Sie noch ein bisschen hierbehalten. Dazu kann Ihnen unsere Seelenklempnerin Dr. Ireland mehr sagen, aber erst in zwei Tagen, wenn sie wieder Dienst hat. Wir sind die einzige Psychiatriestation in diesem Teil Montanas, aber da wir nicht viel zu tun haben, lohnt sich ein Vollzeitseelenklempner nicht. Aber Sie werden Dr. Ireland mögen. Die Frau ist ungefähr in Ihrem Alter und stammt von der Ostküste. Sie kam her, um ein neues Leben zu beginnen, Sie wissen schon. Bisher habe ich noch so gut wie keinen Patienten erlebt, der sie nicht zu schätzen wusste. Aber ich rede schon wieder zu viel. Sehen wir zu, dass Schwester Pepper Sie wäscht … danach unterhalten wir uns weiter.«
Ray schob mich aus der leeren Station und einen kurzen Flur hinunter. Ich versuchte, die Umgebung zu erfassen, hatte aber Probleme mit dem räumlichen Sehen. Alles, was in meine Nähe kam, konnte ich erkennen, sonst nichts. Obwohl Schwester Rainier mich zum Sprechen gezwungen hatte, tat ich mich schwer, mehr als das Nötigste zu artikulieren. Ich schlug die Hände vors Gesicht. Ich möchte tot sein. Denn tot sein bedeutet, nicht denken zu müssen. Und nicht denken müssen bedeutet …
Ich wurde in ein Bad geschoben, das für Schwache und Gebrechliche eingerichtet war. Eine junge, stämmige Frau von Mitte zwanzig erwartete mich bereits. Sie stellte sich als Schwester Pepper vor. Ihrem Dialekt nach stammte sie aus den Südstaaten. Sie bedankte sich bei Ray, dass er mich »abgeliefert« hätte, und schenkte mir dann ein breites, freundliches Lächeln.
»Ich bin so froh, dass Sie wieder unter uns sind«, sagte sie euphorisch. »Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich das sage, aber ich habe fest darum gebetet, dass Sie es schaffen. Sie nehmen mir das doch nicht übel?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich glaube sehr an die Macht der modernen Medizin – aber auch Jesus kann heilen. Doch davon wollen Sie jetzt wahrscheinlich lieber nichts hören.«
Ich begann zu schluchzen. Innerhalb kürzester Zeit geriet mein Weinen völlig außer Kontrolle – und ich hatte wieder das Gefühl, in meinen Tränen zu ertrinken wie in den Stunden, Tagen, Wochen nach dem …
Es war nur ein schrecklicher Unfall , erzählten mir alle. Ein furchtbarer Schicksalsschlag – wie jeder Unfall. Du hättest nichts dagegen unternehmen können.
Ich wollte nichts davon wissen. Es war meine Schuld … es war alles meine Schuld.
Das Schluchzen wurde so heftig, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Die Trauer hatte mich wieder überwältigt. Schwester Pepper versuchte, mich zu trösten. Sie legte ihre Arme und mich und sagte, sie »verstehe« mich. Aber als ich zu sehr ausflippte, ließ sie mich plötzlich los und eilte davon. Kurz darauf war sie mit Schwester Rainier wieder da.
»Was haben Sie nur zu ihr gesagt, verdammt?«, zischte Schwester Rainier. »Haben Sie ihr diesen Jesusmist erzählt?«
Schwester Pepper begann zu wimmern.
»Das haben Sie jetzt von Ihrem frommen Getue«, sagte Schwester Rainier. »Los, beeilen Sie sich, und holen Sie mir eine Spritze mit fünf Milligramm Pentothal. Wenn Sie nicht in
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