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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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Ich kann Sie einerseits gut verstehen. Andererseits …«
    »Sie haben Angst, eine Geisteskranke einzustellen?«
    »Das wohl kaum. Ich habe Professor Sanders von der New England State angemailt. Er hat eine glühende Empfehlung geschrieben – und bittet Sie, sich mit ihm in Verbindung zu setzen.«
    Das war der Nachteil dieser Bewerbung: dass ich verdammt noch mal Referenzen vorweisen musste und meinen früheren Kollegen an der Ostküste damit verriet, wo ich mich jetzt aufhielt. Das konnte auch bedeuten, dass Christy mich ausfindig machte … obwohl ich mich darauf verließ, dass sie keinen weiteren Kontakt zu Sanders hatte. Aber ich wusste bereits, wie ich dafür sorgen konnte, dass er meine Adresse nicht weitergab.
    Mrs Woods fuhr fort: »Er hat mir auch erzählt, was nach diesem Vorfall geschah. Und mir versichert, dass es ein einmaliger Ausrutscher gewesen wäre, der einzig und allein der Extremsituation, in der Sie sich damals befanden, geschuldet wäre. Es tut mir sehr leid. Ich kann mir nicht ansatzweise vorstellen, wie …«
    »Ich habe nicht die Angewohnheit, auf andere Leute loszugehen«, sagte ich und schnitt ihr das Wort ab. »Dafür liebe ich Bücher. Und da ich in meinem Leben viel Zeit in Bibliotheken verbracht habe …«
    Zehn Minuten später hatte ich den Job. 480 Dollar brutto die Woche, von denen 27 Prozent Einkommenssteuer sowie weitere zehn Prozent für die Provinzregierung in Alberta abgingen. Ich würde also 350 Dollar die Woche nach Hause bringen. Das reichte mir, da sich meine monatlichen Ausgaben auf etwa 1300 Dollar beliefen. Obwohl mein Gehalt von der New England State nach wie vor auf meinem Bostoner Konto einging (Professor Sanders ignorierte offenbar meine Anweisung, die Zahlungen zu stoppen), beschloss ich, meine Geldreserven nicht anzugreifen. Stattdessen lebte ich mehr als bescheiden – aber ohne mich eingeengt oder verarmt zu fühlen. Im Gegenteil – es war fast schon eine interessante Herausforderung, die Ausgaben aufs Nötigste zu beschränken. Um die Stunde, die ich täglich im Café verbrachte, wieder wettzumachen, wollte ich darauf verzichten, mehrmals die Woche auswärts essen zu gehen. Doch das Wichtigste war, dass mich der Job acht Stunden am Tag beschäftigen würde, in denen ich nicht meinen eigenen Gedanken nachhängen konnte. Wenn ich es richtig anstellte, wäre ich bestimmt eine vorbildliche Kollegin, wobei ich mir allerdings höflich jeden Kontakt außerhalb der Arbeit verbieten würde.
    Und wenn mich jemand aus der Bibliothek auf meine Vergangenheit anspräche …
    Aber das tat niemand. Im Gegenteil, meine neuen Kollegen waren ausnahmslos nett, aber auch ein wenig distanziert. Sie wollten mich herzlich in ihrer Runde aufnehmen, doch ich merkte auch, dass sie mich wie mit Samthandschuhen anfassten. Nachdem mich Mrs Woods durch die ganze Bibliothek geführt hatte, wurde ich in die Obhut einer sehnigen, herben Frau namens Babs Milford gegeben: der Chefkatalogisiererin.
    »Bei Ihrem Hintergrund wünschen Sie sich bestimmt eine anspruchsvollere Aufgabe, als Bücher einzuräumen. Deshalb wurden Sie mir zugewiesen. Viele Leute finden das Katalogisieren mühsam. Ich gehöre nicht dazu – und hoffe, dass Sie es ebenfalls interessant finden.«
    Babs war aus der Prärie. Sie stammte von einer kleinen Farm bei Saskatoon, besaß die raue, heisere Stimme einer typischen Raucherin (nicht umsonst eilte sie in jeder Pause nach draußen, um sich eine Zigarette anzuzünden) und war ziemlich zynisch drauf. Sie war Ende fünfzig, verwitwet und hatte zwei erwachsene Töchter, die beide in Toronto lebten. Nach dem, was ich so mitbekam, standen sie ihrer Mutter nicht besonders nahe. Aber Babs sprach nur selten über ihr Privatleben, solche Dinge erfuhr ich eher nach und nach. Trotzdem deutete sie an, dass ihre Ehe nicht besonders glücklich gewesen und ihr Mann vor sechs Jahren ganz unerwartet an einem Herzinfarkt gestorben war, als sie sich ohnehin trennen wollten.
    Das alles erzählte mir Babs erst, nachdem wir bereits vier Monate lang zusammengearbeitet hatten. Und selbst dann erwähnte sie es eher wie nebenbei, als ich gerade alle Romanbestände von John Updike neu katalogisierte. Babs wollte wissen, ob das der Typ sei, »der ständig über unglückliche Ehen schreibt«. Das verriet, dass sie wirklich intelligent war und sich mit Büchern auskannte. Trotzdem blieb sie auf eine Weise provinziell, bei der allzu intellektuelle Bemerkungen mit einer gewissen hinterwäldlerischen

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