Aus der Welt
stand: Central Public Library.
Ich bremste und fuhr rechts ran. Die Bibliothek war ein Betonbau mit schmalen, gefängnisähnlichen Fenstern. Was hatte sich die Stadt nur dabei gedacht, so ein monströses Bauwerk zu genehmigen? Trotzdem schloss ich mein Fahrrad ab und ging hinein. Am Schwarzen Brett in der Eingangshalle hing eine Nachricht:
HILFSBIBLIOTHEKARE GESUCHT
Sie zahlten 12 Dollar pro Stunde. Obwohl sie Kandidaten bevorzugten, die »Vorkenntnisse im Bibliothekswesen« besaßen, war das keine unabdingbare Voraussetzung. Im Moment gab es drei offene Stellen, Bewerber wurden gebeten, ihren Lebenslauf an eine gewisse Mrs Geraldine Woods, die Chefbibliothekarin, zu schicken.
Ich betrat die Bibliothek und fragte, ob es einen Computerraum gäbe.
»Im Erdgeschoss links.«
Die nächste Stunde verbrachte ich damit, meinen Lebenslauf sowie ein Anschreiben an Mrs Woods zu verfassen. Als ich damit fertig war und beides abgeben wollte, dachte ich: Wie soll sie mich erreichen, wenn ich kein Telefon habe? Sosehr es mir auch widerstrebte, mir dieses letztlich unverzichtbare Kommunikationsmittel zuzulegen, würde ein Lebenslauf ohne Telefonnummer doch Misstrauen erregen und hinterher noch die Frage aufwerfen, ob ich vielleicht lebte wie der Unabomber. Am besten, ich schickte mich ins Unvermeidliche und schaffte mir ein Handy an.
Also druckte ich Lebenslauf samt Brief aus und ließ Platz für die Telefonnummer. Dann fuhr ich nach Chinatown und zählte insgesamt acht Läden, die Elektrogeräte verkauften. Der, für den ich mich entschied, gehörte einem nervösen Mann um die dreißig, der Kette rauchte und gleichzeitig in ein Handy brüllte, das so winzig war, dass er es zwischen Daumen und Zeigefinger halten musste. Er ignorierte mich ganze fünf Minuten – was gar nicht so einfach war in einem Laden, der gerade mal sechs Quadratmeter maß. Als ich es schließlich leid war, zu warten, und wieder gehen wollte, beendete er sofort sein Telefonat.
»Bleiben Sie, bleiben Sie!«, rief er. »Ich habe ein schönes Handy für Sie, für einen guten Preis!«
Eine halbe Stunde später war ich um 75 Dollar ärmer und verließ mit einem Prepaid-Handy den Laden, das ein Guthaben von 20 Dollar aufwies. Aber das Wichtigste war, dass ich jetzt eine eigene Nummer besaß, die ich handschriftlich unten in das Anschreiben einfügte. Dann fuhr ich zurück zur Bibliothek, gab meine Bewerbung am Empfang ab und dachte: Wenn sie den Lebenslauf sieht, wird sie mich wahrscheinlich für verrückt halten …
Am nächsten Tag erhielt ich gegen halb zehn einen Anruf von Mrs Woods. Sie klang freundlich und forsch.
»Könnten Sie noch heute zu einem Bewerbungsgespräch kommen?«
Ich ging wie gewünscht um drei hin. Ich kleidete mich schlicht: ein schwarzer Cordrock, schwarze Seidenstrümpfe, vernünftige Schuhe und ein Pulli mit V-Ausschnitt, unter dem ich ein weißes T-Shirt trug. Mrs Woods dagegen hatte einen beigefarbenen Hosenanzug und eine geblümte Bluse an. Sie war dick und wie fast jeder Bibliothekar, den ich kannte, nicht allzu extrovertiert. Aber da sie hier der Oberboss war, besaß sie wahrscheinlich mehr soziale Fähigkeiten als ihre Kollegen. (Auch das hatte ich in all den Jahren an der Uni gelernt: dass der Chefbibliothekar stets nach diesem Gesichtspunkt ausgesucht wird und weniger nach seiner Berufserfahrung. Hauptsache, er ist dazu in der Lage, dem Blick anderer standzuhalten.)
»Nun, Miss Howard, als ich mir Ihren Lebenslauf ansah, dachte ich ehrlich gesagt: Haben wir es hier mit einer Hochstaplerin zu tun? Denn mit Ihren Qualifikationen hat sich noch niemand bei uns beworben. Dann habe ich ein wenig recherchiert … und festgestellt, dass Sie tatsächlich in Harvard promoviert und dieses Buch über den amerikanischen Naturalismus veröffentlicht haben. Sie waren auch Dozentin an der New England State. Deshalb interessiert mich natürlich, warum Sie einen schlecht bezahlten Job in Calgary annehmen wollen.«
»Wie genau haben Sie denn recherchiert, Mrs Woods?«
»Ich habe Sie natürlich gegoogelt.«
»Dann müssen Sie auch auf das … mit meiner Tochter gestoßen sein.«
Sie erwiderte meinen Blick. »Ja, ich habe darüber gelesen.«
»Dann wissen Sie auch, warum ich hier bin.«
»Ich will ehrlich sein: Ich bin auch auf einen Artikel gestoßen, der von der Körperverletzung berichtet, die Sie nach dem … Unfall begangen haben.«
»Haben Sie sich auch die Umstände dieser Körperverletzung angesehen?«
»Ja, das habe ich …
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