Aus der Welt
meiner Pubertät, als ich mich weigerte, ihr aus meinem Leben zu erzählen. Da Mom so gut wie kein eigenes Leben hatte, litt sie darunter, dass ich nie etwas erzählte und alles für mich behielt. Zum Teil war das nur eine Reaktion auf ihr Bedürfnis, mich auszuhorchen. Heute verstehe ich ihre tiefe Verzweiflung – ihre Einsamkeit und Isolation, das Gefühl, von meinem Vater ausgemustert worden zu sein, sodass sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf mich konzentrierte. Ich sollte alles erreichen, was ihr verwehrt geblieben war. Und so waren zu Highschool-Zeiten jede Hausarbeit, die ich abgab, jedes Buch, das ich las, jeder Film, den ich sah, jede Note, die ich bekam, und jeder Typ, der mit mir ausgehen wollte (nicht, dass es viele davon gegeben hätte), hochinteressant für sie.
Mir wurde das alles zu viel. Meine Mutter benahm sich wie eine Art Managerin, die peinlich darauf achtete, dass ich mich nicht blamierte und so wenig Fehler machte wie möglich. Als ich schließlich aufs College kam, war ich so zurückhaltend und in mich gekehrt, dass uns Welten trennten. Sie erkundigte sich seltener nach meinem Leben und versuchte, sich nicht mehr in alles einzumischen. Oberflächlich betrachtet hatten wir immer noch ein gutes Verhältnis – und ich erzählte ihr die weniger wichtigen Dinge aus meinem Leben. Trotzdem wusste sie, dass wir uns nicht mehr wirklich nahestanden.
Und ja, ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen deswegen – zumal ich wusste, dass ich Mom so nur in ihrer Meinung bestärkte, »alles falsch zu machen«.
Das vielleicht vielsagendste Gespräch, das wir zu diesem Thema hatten, fand nach meiner Trennung von Tom statt, und zwar an Weihnachten. Ich war zu Hause in Connecticut und hatte das Telefonat, das ich vor Thanksgiving mit ihm geführt hatte, noch nicht erwähnt. Und so fragte sie mich natürlich gleich am ersten Abend, ob ihr zukünftiger Schwiegersohn (wie immer) am 26. Dezember käme.
»Ich fürchte, Tom verbringt Weihnachen mit seinen zukünftigen Schwiegereltern in Irland.«
Mom sah mich an, als hätte ich gerade chinesisch gesprochen.
»Was hast du da gerade gesagt?«
»Tom hat in Irland jemanden kennengelernt – eine Medizinstudentin. Sie sind jetzt zusammen – und wir sind getrennt.«
»Und wann ist das passiert?«
Ich sagte es ihr. Sie wurde kreidebleich.
»Und das erfahre ich erst jetzt?«
»Ich brauchte Zeit.«
»Zeit für was , Jane? Ich bin deine Mutter, falls du das vergessen haben solltest … und obwohl du mich ad acta gelegt hast …«
»Ich rufe dich zwei- bis dreimal die Woche an, ich komme an jedem wichtigen Feiertag nach Hause …«
»Und verheimlichst mir alles, was wirklich wichtig ist.«
Schweigen. Dann sagte ich: »So bin ich eben. Ich kann nicht anders.«
»Aber warum? Warum ?«
Man kann nur selten sagen, was man wirklich über andere denkt – nicht nur, weil es ihnen wahnsinnig wehtun würde, sondern auch, weil es uns selbst wehtut. Eine Notlüge ist der traurigen Wahrheit meist vorzuziehen.
Als Antwort auf ihre Frage erwiderte ich daher nur den waidwunden Blick meiner Mutter und sagte: »Das ist mein Problem, Mom, nicht deines.«
»Das sagst du doch nur, damit ich endlich den Mund halte und du aus dem Schneider bist.«
»Aus dem Schneider? In welcher Hinsicht?«
»Dass du ein Buch mit sieben Siegeln bist. Genau wie dein Vater.«
Dad. Ich sehnte mich so sehr nach seiner Anerkennung, nach seiner Aufmerksamkeit. Aber er entzog sich mir ständig, war immer weit weg, außer Reichweite. Er lebte jetzt dauerhaft in Südamerika – und aus seinen sporadischen vierteljährlichen Anrufen wusste ich nur, dass er mit einer viel jüngeren Frau zusammen war. Wie er war auch ich ein Buch mit sieben Siegeln. Vielleicht versuchte ich damit unterschwellig, ihm zu gefallen. – »Siehst du, Dad, ich bin genau wie du …« – Aber vielleicht war die Distanz, die ich zu den anderen aufrechterhielt, auch einfach nur eine Strategie, mit der ich mir vieles ersparte. Und mit der ich mich vor Einmischung, neugierigen Blicken, ja sogar vor einem Kreuzverhör durch die beste Freundin schützte.
»Du bist unmöglich«, sagte Christy Naylor.
»Das habe ich schon öfter gehört.«
»Weißt du, was der größte Unterschied zwischen uns ist?«
»Sag es mir.«
»Ich erzähle alles und du nichts.«
»Ein Geheimnis bleibt so lange ein Geheimnis, bis man jemandem davon erzählt. Von diesem Moment an ist es Allgemeingut.«
»Wenn du niemandem traust, fühlst du dich dann nicht
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