Aus der Welt
andeuten würde, seine Frau zu verlassen und mit mir zusammenzuziehen …
Das ständige Hoffen wäre unerträglich gewesen, zumal er im letzten Moment bestimmt eine Möglichkeit gefunden hätte, sich vor einem gemeinsamen Leben zu drücken. Denn David sollte es nie schaffen, sich zwischen dem, was er wollte, und dem, was er glaubte, nicht aufgeben zu dürfen, zu entscheiden.
Vier Jahre mit David Henry.
Wir waren sehr geschickt darin, unser privates Leben von dem auf dem Campus zu trennen. Immer wenn ich zur wöchentlichen Besprechung in Davids Büro kam, verhielten wir uns völlig neutral. Obwohl wir manchmal ein wissendes Lächeln wechselten, hielten wir diese Treffen strikt beruflich und sprachen nie von unserem nächsten Rendezvous. Und wenn ich David auf einer Campus-Veranstaltung traf, redete ich ihn immer mit Professor Henry an und verhielt mich ganz korrekt. Genauso penibel achtete ich darauf, dass er seine Spuren verwischte, damit seine Frau nicht misstrauisch wurde. Ich schlug vor, ihr seine Abwesenheit damit zu erklären, dass er an unseren Nachmittagen zum Schreiben in sein Büro ginge – und in einen Anrufbeantworter mit Fernabfrage zu investieren, den er anschaltete, bevor er zu mir kam. Da er Polly gesagt hatte, dass er in dieser Zeit arbeitete und der Anrufbeantworter an war, hatte er ein Alibi.
Ein Trick, der funktionierte. Nachdem Polly ihn ein paar Wochen genervt hatte, kaufte sie ihm die Lüge ab, nämlich dass er mit dem Roman »vorankam«, den er schon seit zehn Jahren angekündigt hatte …
Und in gewisser Weise sagte er durchaus die Wahrheit. Um unsere gemeinsamen Stunden geheim zu halten – und Polly zu beweisen, dass er tatsächlich schrieb –, begann er, schon morgens um acht ins Büro zu gehen und vor seinem ersten Seminar, das um elf Uhr anfing, eine Seite seines Buches zu schreiben (er schrieb äußerst langsam).
Er brauchte über zwei Jahre, um es zu beenden. Er erzählte nie, wovon es handelte, sondern verriet nur, dass es in den 1960er-Jahren spielte und eine ziemlich experimentelle Struktur hätte. Nachdem der erste Entwurf fertig war, zeigte er mir monatelang nichts. Und selbst dann schien er noch zu zögern, zumal sein Agent einige Absagen von großen New Yorker Verlagen bekam, denen das Manuskript vorlag.
»Sie finden es alle zu abgehoben«, sagte er mir, nachdem die sechste Absage eingetrudelt war.
»Nun, sobald du eine unabhängige Meinung einholen willst …«, sagte ich.
»Ich gebe es dir, wenn es angenommen wurde.«
»Weißt du, David, für mich spielt es keine Rolle, ob irgendein Verleger den Daumen gesenkt hat.«
»Warten wir’s ab«, sagte er in einem Ton, dass ich nicht weiter in ihn drang.
Nachdem es monatelang nur Absagen gehagelt hatte, gab ein kleiner, aber sehr renommierter Verlag namens Pentameter Press grünes Licht. An jenem Tag kam er mit Champagner und einem wunderbaren Geschenk in meine Wohnung, mit einer Erstausgabe von H. L. Menckens A Little Book in C Major . Das Buch enthielt einen meiner Lieblings-Aphorismen: »Das Gewissen ist die innere Stimme, die uns warnt, weil uns jemand zuschauen könnte.«
»Diese Ausgabe muss dich ein Vermögen gekostet haben.«
»Lass das mal meine Sorge sein.«
»Du bist viel zu großzügig.«
»Nein, du bist zu großzügig – in jeder Hinsicht.«
»Also … dein Roman. Darf ich das verdammte Ding jetzt endlich mal lesen?«, fragte ich.
Er zögerte einen Moment und sagte dann: »Na gut …, aber er ist mit Vorsicht zu genießen.«
Er führte das nicht weiter aus, was mich nur in meinem Verdacht bestärkte, dass er eine Art Schlüsselroman geschrieben hatte, in dem unsere Beziehung eine Rolle spielte. Schon dass er kaum etwas über seinen Inhalt verraten hatte, machte mich misstrauisch, und auch, wie er mir das Manuskript an unserem nächsten gemeinsamen Nachmittag übergab: Er zog es im letzten Moment aus seiner Umhängetasche, legte es auf die Küchentheke und sagte nur: »Bis Freitag.«
Der Roman hieß Der 49. Breitengrad . Es war ein recht schmales Buch – 206 zweizeilig gedruckte Manuskriptseiten – und las sich ziemlich mühsam. Oberflächlich betrachtet handelte es von einem Mann mittleren Alters, der einfach nur »der Autor« genannt wird. Er fährt durch Kanada – daher der Titel Der 49. Breitengrad –, um seinen Bruder zu besuchen, der einen Nervenzusammenbruch erlitten hat, aber auch, um ein Immobiliengeschäft in Vancouver abzuwickeln. Der Bruder ist reich. Der Autor lehrt an einer
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