Aus der Welt
Am nächsten Morgen gegen neun klingelte das Telefon in meinem kleinen Apartment in Somerville.
»Hier spricht dein völlig beschämter Professor«, sagte er leise.
»Heißt das, ich darf dich nicht mehr David nennen?«
»Das heißt, dass ich ein Vollidiot bin – ich hoffe, du hältst mich nicht für einen …«
»Ich halte dich einfach nur für menschlich, David.«
Diese Bemerkung ließ ihn verstummen.
»Außerdem weiß ich es sehr zu schätzen, dass du mir dein Herz ausgeschüttet hast.«
»Du wirst dich also nicht beim Fakultätsvorsitzenden über mich beschweren …«
»Wegen sexueller Belästigung? Du hast mich nicht belästigt, David. Ich habe schließlich deine Hand genommen.«
»Ich dachte eher, du gehst hin und sagst, dass du nicht mehr bei mir studieren willst.«
»Jetzt hast du aber wirklich einen Kater.«
»Schuldig im Sinne der Anklage. Darf ich dich auf einen Kaffee einladen?«
»Warum nicht? Ich muss allerdings vorher noch etwas erledigen – macht es dir was aus, bei mir vorbeizuschauen?«
Ich nannte ihm meine Adresse.
Als er eine halbe Stunde später kam, geriet der Kaffee schnell in Vergessenheit. Kaum war er durch die Tür, fielen wir auch schon übereinander her.
Danach sagte er zu mir: »Das ist ein Spiel mit dem Feuer.«
»Nur, wenn wir nicht aufpassen«, sagte ich.
»Wenn das rauskommt …«
»Redest du nach dem Sex immer so daher …?«
»Ich habe nicht die Angewohnheit …«
»Mit deinen Studentinnen zu schlafen?«
»Genau.«
Danach unterhielten wir uns über seine vergangenen Affären, und er fand, ich stellte zu viele Fragen.
»Eines solltest du von Anfang an wissen – vorausgesetzt, ich bin mehr als eine Eintagsfliege: Wir haben keine Zukunft, nur dieses Arrangement, ein kleines Abenteuer. Ich werde also nie die klassische eifersüchtige Geliebte sein, die immer besitzergreifender und psychotischer wird. Dafür verlange ich, dass du immer ehrlich zu mir bist. Wenn du die Sache beenden willst, brauchst du es nur zu sagen. Du musst mir nichts vormachen.«
»Du hast dir offensichtlich schon viele Gedanken darüber gemacht«, sagte er.
»Du doch auch.«
»Bist du immer so vernünftig?«
»Wenn ich vernünftig wäre, würde ich nicht mit dir in diesem Bett liegen.«
» 1 : 0 für dich«, sagte er.
So fing es an. Anfangs ging ich tatsächlich unheimlich vernünftig an unser »Abenteuer« heran. Ich wusste, dass ich mich so besser gegen etwaige Enttäuschungen oder Liebeskummer wappnen konnte. Aber ich wusste auch, dass ich mich in David Henry verliebt hatte. Ich schwebte im siebten Himmel, stand aber auch große Ängste aus. Denn das Hauptproblem, wenn man sich mit einem verheirateten Mann einlässt, ist …
Nun, den Rest kann man sich denken.
Natürlich wusste ich, dass ich die eifersüchtige Geliebte sein würde. Genauso wie wir wussten, dass Davids Karriere beendet wäre und ich mein Promotionsstipendium verlieren würde, wenn das hier jemals rauskäme. (»Man würde dich höchstwahrscheinlich als Opfer betrachten«, meinte David einmal, »dich aber trotzdem rauswerfen, weil du bei deinem Doktorvater eine Sonderbehandlung genossen hast.«) Das bedeutete, dass ich niemandem davon erzählen durfte. Auch nicht Sara Crowe – einer sehr großbürgerlichen, etwas arroganten, aber klugen Neuengländerin, die über den amerikanischen Puritanismus promovierte. Sara hatte jede Menge Beziehungen. Jeden Sonntagabend veranstaltete sie in ihrem Apartment unweit der Brattle Street einen Salon, zu dem sich alles einfand, was in Harvard Rang und Namen hatte (sowie andere wichtige Besucher, die am Wochenende nach Cambridge kamen). Nachdem wir uns bei einem Uni-Symposium über Emily Dickinson kennengelernt hatten, fand sie mich interessant genug, um mich hin und wieder zum Abendessen einzuladen. Aber sie war bestimmt niemand, dem ich irgendetwas anvertraut hätte.
Auch Christy Naylor gegenüber verlor ich kein Sterbenswort – obwohl sie die einzige echte Freundin war, die ich während meines ersten Collegejahrs kennengelernt hatte.
Christy stammte aus Maine – und hatte auf der Highschool so oft blaugemacht, dass sie an der staatlichen Universität von Orono gelandet war. Dort wurde aus ihr plötzlich eine akademische Überfliegerin (»In erster Linie, weil dort die Männer so langweilig waren«), die ihr Englischstudium mit summa cum laude abschloss und wie ich ein Vollstipendium für Harvard bekam. Ihr Spezialgebiet war die amerikanische Lyrik der Moderne, vor allem
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