Aus der Welt
mittelmäßigen Universität in Montreal. Er hat eine Frau – sie wird nur »Frau« genannt –, die er nicht mehr liebt und die ständig behauptet, »Visionen des Göttlichen« zu haben. Der Autor hat eine Affäre mit einer jüngeren Autorin, die namenlos bleibt. Sie ist Juniorprofessorin an der McGill University – brillant, unabhängig, bereit, seine Geliebte zu sein, aber nicht, seinen »emotionalen Sprengstoff« zu entschärfen. Der Autor betet sie an, da er weiß, dass er sie »haben«, aber nie wirklich haben kann …
Obwohl die Grundhandlung recht stringent und konventionell angelegt war (Ehebruch und das Sichauseinanderleben von Paaren in intellektuellen Kreisen), verbaute Davids Sprache – oder besser Nicht-Sprache – jeden Zugang zu den leichter verdaulichen Elementen der Geschichte. Stattdessen gab es eine Art endlosen inneren Monolog, in dem der Autor seinen »anbetungswürdigen, aber altersschwachen Karmann-Ghia nach Westen lenkt und über das »große, lang gestreckte Nichts«, sprich die kanadische Prärie, sinniert. Der Autor, der an Schuldgefühlen, einer Depression, »dem Nihilismus des Alltags und der eingebildeten Euphorie der Flucht« leidet, sitzt in seinem Wagen und denkt über die beiden Frauen in seinem Leben nach, und zwar in einem ständigen Stil des Bewusstseinsstroms. Es gab jede Menge bemühte Metaphern, ganz zu schweigen von den drei Seiten langen Sätzen, die das »hypnotische Nichts der Prärie« beschworen sowie (und jetzt wurde es interessant!) »den Pfirsichduft ihrer Fotze«.
Während ich mich hindurchquälte – die Lektüre war wirklich harte Arbeit –, traf mich nicht der Schock des Wiedererkennens, den ich gefürchtet hatte. Nein, am meisten überraschte mich, wie schlecht der Roman im Grunde war. Er war mit Absicht obskur, sodass man als Leser Mühe hatte, dem Bewusstseinsstrom des Autors zu folgen. Und dann diese abrupten Wendungen ins Wahrnehmungspsychologische, das ewige, endlose Abschweifen, angefangen von Wittgenstein bis hin zu Tim-Horton-Donuts.
Zu behaupten, die Lektüre von Davids Roman sei eine seltsame Erfahrung, wäre noch untertrieben. Ich war schwer erschüttert. Da glaubt man, jemanden so gut zu kennen. Nach all den Gesprächen über die Kunst, das Leben und darüber, was wirklich zählt, nach all der Intimität der Liebe glaubt man ziemlich genau zu wissen, was im anderen vorgeht. Wie er reagiert und die Welt sieht.
Und dann … dann … schreibt er plötzlich etwas dermaßen Provozierendes, Verstörendes. Gleichzeitig war ich ziemlich erleichtert, dass sie so wenig Ähnlichkeit mit mir hatte.
Und jetzt fürchtete ich mich vor unserem nächsten Rendezvous. Weil er mich bestimmt fragen würde, was ich davon hielt – und ich um eine Antwort nicht herumkommen würde. Dafür war die Sache zu wichtig, zu wesentlich. Ich musste ihm die Wahrheit sagen.
Aber als er an jenem Freitag auftauchte, erwähnte er das Buch mit keinem Wort. Stattdessen gingen wir sofort zusammen ins Bett. Ich war noch leidenschaftlicher als sonst, vielleicht, weil mein Gewissen mich plagte, dass ich seinen Roman so schlecht fand. Danach blieben wir im Bett liegen, und er sprach ausführlich über eine neue Biografie von Emily Dickinson, die er für Harper’s rezensieren sollte.
»Willst du denn gar nicht wissen, wie ich dein Buch finde, David?«, fragte ich.
»Ich weiß es bereits. Ich wusste es schon, bevor du auch nur die erste Seite gelesen hattest. Deshalb fiel es mir so schwer, es dir zu geben.«
»Also hast du es in dem Wissen geschrieben, dass ich es hassen würde?«
»Höre ich da etwa einen feindlichen Unterton heraus, Jane?«
»Ich bin nur sehr überrascht, mehr nicht.«
»Ich wusste gar nicht, dass du in kreativen Dingen so konservativ bist.«
»Ich bitte dich! Ein bisschen mehr literarische Bildung darfst du mir schon zutrauen! Ich, der Richter von Mickey Spillane liest sich leicht, Ulysses von James Joyce dagegen schwer. Doch beiden Büchern ist gemeinsam, dass sie einen sofort in die Geschichte hineinziehen. Es spielt keine Rolle, wie leicht lesbar oder anspruchsvoll ein Roman ist – solange er den Leser in seinen Bann zieht.«
»Was bei meinem nicht der Fall zu sein scheint.«
»Seine Komplexität ist überwältigend, aber seine bewusste Elliptik macht einen wahnsinnig. Und wenn du so Sachen schreibst wie ›der Pfirsichduft ihrer Fotze‹ … Also ehrlich, David, ich weiß nicht …«
»Soll ich dir mal was sagen? Polly findet, es ist ein
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