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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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Wallace Stevens, den sie wie einen Gott verehrte. Sie hatte selbst damit angefangen, hin und wieder ein Gedicht in kleinen Zeitungen und Zeitschriften zu veröffentlichen. Als selbst ernannte »Hinterwäldlerin« aus Lewistone, Maine – »dem Arsch der Welt Neuenglands« –, fand sie nichts dabei, vierzig Zigaretten am Tag zu rauchen und sich mit Dosenbier zu betrinken. Aber sobald man anfing, sich mit ihr über die komplexe Metrik in einem von Pounds Cantos oder die Verwendung von Pentametern in Stevens’ Dreizehn Arten, eine Amsel zu betrachten zu unterhalten, bewies sie einen intellektuellen Scharfsinn, bei dem einem Hören und Sehen verging. In ihren eigenen Texten klang jene Moderne an, die sie so sehr bewunderte.
    Als wir eines Abends etwas trinken gingen, sagte sie: »Ich habe das Problem, dass ich mir in der Kunst und bei den Männern immer die kompliziertesten, schwierigsten Fälle aussuche.«
    Da sie etwas Übergewicht hatte – und Sport oder eine gesunde Ernährung Fremdwörter für sie waren –, wirkte sie wie eine Redneck-Intellektuelle aus einem Wohnwagenpark, die es aber trotzdem schaffte, sich von irgendwelchen schicken Verehrern den Hof machen zu lassen.
    »Wahrscheinlich sehen sie in mir eine Art Hure. Dabei habe ich gar nichts gegen Huren. Oder Verrückte. Du bist dagegen eher der Typ Heilige, ein Ausbund an Enthaltsamkeit und unfähig, auch nur ein Gramm zuzulegen …«
    »Es ist ja nicht so, dass ich es nicht versuchen würde.«
    »Ja, du bist einfach unverschämt schlank – und hübsch außerdem.«
    »Hübsch wohl kaum.«
    »Das musstest du ja jetzt sagen, selbstkritisch, wie du bist. Aber die Jungs stehen auf dich, glaub mir.«
    David hatte mir bei mehreren Gelegenheiten dasselbe gesagt. Ihm war aufgefallen, wie oft ich die Stirn runzelte, wenn ich mich im Spiegel betrachtete, so als gefiele mir nicht, was ich dort sah.
    »Ich hatte schon immer was gegen Spiegel«, sagte ich.
    »Na, ein Mauerblümchen bist du nicht gerade, eher der Typ Audrey Hepburn …«
    »Ich bitte dich!«
    »Sogar Professor Hawthorden, dem Vorsitzenden der Englischfakultät, ist die Ähnlichkeit aufgefallen.«
    »Meine Haare sind viel länger.«
    »Du hast auch die gleichen Wangenknochen, den strahlenden Teint und …«
    »Hör schon auf!«, sagte ich.
    »Du verträgst keine Komplimente, stimmt’s?«, sagte David mit einem stillen Lächeln.
    Ich traue ihnen nicht , hätte ich ihm am liebsten gesagt, erwiderte aber stattdessen: »Du bist einfach voreingenommen.«
    »Ja, das stimmt. Und was ist daran schlimm?«
    Jungs stehen auf dich, glaub mir.
    Ich sah zu Christy hinüber und schüttelte den Kopf.
    »Irgendwann wirst auch du lernen, dich zu mögen«, fuhr sie fort. »Vielleicht schminkst du dich dann ein wenig und hörst auf, dich anzuziehen wie eine Bergführerin durch die Rocky Mountains.«
    »Vielleicht interessiere ich mich einfach nicht für Mode.«
    »Vielleicht solltest du aufhören, aus lauter Selbstschutz so wahnsinnig streng mit dir zu sein. Mal ganz ehrlich, Jane … wir gehen aufs College. Du solltest dich betrinken, dich anziehen wie eine Intellektuellentussi und mit jeder Menge unappetitlichen, unpassenden Jungs schlafen.«
    »Ich wünschte, ich hätte deine lustbetonte, epikureische Einstellung«, sagte ich.
    » Epikureisch? Ich bin doch bloß eine Schlampe und Nymphomanin. Aber jetzt sag schon, du verheimlichst mir doch bestimmt irgendeinen Kerl.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Warum glaub ich dir dann nicht?«, sagte sie.
    »Sag du es mir.«
    »Vielleicht, weil ich erstens spüre, dass du einen heimlichen Liebhaber hast. Zweitens bist du dermaßen beherrscht und diszipliniert, dass du seine Identität geheim hältst, weil er drittens jemand ist, mit dem man dich nicht sehen darf.«
    Ich setzte mein bestes Pokerface auf, um zu verbergen, dass ich insgeheim eine Riesenangst hatte, sie könnte über mich und David Bescheid wissen.
    »Du hast eine sehr lebhafte Fantasie«, sagte ich.
    »Du triffst dich heimlich mit jemandem.«
    »Da ich nicht verheiratet bin …«
    » Du bist die heimliche Geliebte, Schätzchen.«
    »Noch einmal, ich bewundere deine Fantasie …«
    »Verdammt noch mal, Jane – ich bin deine Freundin! Und als solche sollte ich jedes pikante Detail kennen … so wie du meine pikanten Details kennst.«
    »Aber wenn ich nun mal nichts Pikantes zu berichten habe …«
    »Du bist unmöglich.«
    »Das habe ich schon öfter gehört.«
    Meine eigene Mutter hatte mir das mehrfach gesagt, in

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