Aus der Welt
sehen uns später im »Haus der Freude«.
Alles Liebe
Ich stieg ins Taxi. Es fuhr die 29. Straße hoch, vorbei am Krebszentrum des Foothills Hospital. Wurde Vern hier behandelt?
Der Fahrer musste Gedanken lesen können. Als wir daran vorbeifuhren, sagte er: »Jedes Mal, wenn ich daran vorbeifahre und die Worte Krebszentrum lese, bekomme ich eine Gänsehaut. So nach dem Motto: Es hätte genauso gut mich erwischen können, verstehen Sie?«
»Ja.«
Zu Hause in meiner kleinen Wohnung nahm ich eine heiße Dusche und zog mich um. Dann ging ich frühstücken ins Café Beano. Als ich zur gewohnten Zeit meinen Job in der Bibliothek antrat, begrüßte mich Ruth besorgt.
»Ich habe mir gestern Sorgen um Sie gemacht. Ich wollte Ihnen vorschlagen, zusammen auszugehen, aber als ich nach Ihnen schaute, waren Sie schon weg.«
»Ich bin einfach nach Hause gegangen.«
»Sie hätten gestern Abend nicht alleine zu Hause sein sollen.«
Ich schwieg.
Später kam Babs zu mir in den Aufenthaltsraum und fragte ebenfalls, wie es mir ginge.
»Gut«, sagte ich leise.
»Nun, wenn Sie mal eine Schulter brauchen, an der Sie sich ausweinen können …«
»Danke«, sagte ich und wechselte schnell das Thema. Die Leute wollen nett sein. Die Leute wissen nicht, was sie sagen sollen. Umgekehrt weiß man nicht, was man zu ihnen sagen soll. Was soll man schon sagen? Was lässt sich sagen? Nichts als die üblichen banalen Beileidsbekundungen, und dann merkt man, dass alles immer noch genauso schlimm ist. Und dann …
Es gab keine Lösung. Aber es gab Arbeit, und ich stürzte mich hinein. Ich ergatterte eine Bodley-Head-Ausgabe der gesammelten Werke von Graham Greene, und zwar für schlappe 2300 Dollar. Ich fragte Marlene, die jetzt die Kinderbuchabteilung leitete und unverändert mürrisch war, ob sie 20 000 Dollar ausgeben wollte, um ihre Bestände zu aktualisieren.
»Bekomme ich dabei völlig freie Hand?«
»Haben Sie anderen jemals völlig freie Hand gelassen, als Sie Leiterin der Einkaufsabteilung waren?«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
»Und Sie weigern sich, meine zu beantworten. Aber ich will es kurz machen: Ja, ich lasse Ihnen mehr oder weniger freie Hand – vorausgesetzt, Sie listen mir auf, wie Sie die 20 000 am liebsten ausgeben möchten. Wenn ich keine schwerwiegenden Einwände habe, können Sie mit den Bestellungen loslegen. Ist das ein faires Angebot?«
»Gegen was hätten Sie ›Einwände‹?«
Ich seufzte gedehnt und konnte mich gerade noch zusammenreißen, nicht so etwas zu sagen wie: Warum müssen Sie ständig Streit suchen? Warum ist alles ein Problem für Sie? Ich hätte auch noch hinzufügen können: Warum ist jede Arbeitsumgebung ein Schlachtfeld, auf dem kleinkarierte Machtkämpfe ausgetragen werden, warum schwelt überall Hass? Warum müsst ihr eure eigene Unsicherheit und Langeweile durch Gehässigkeiten und Mobbing kaschieren? Nichts als interne Machtspielchen, gepaart mit öder Routine und der traurigen Erkenntnis, dass das Interesse an der eigenen Arbeit begrenzt ist. Ob es euch passt oder nicht, sie ist bedeutungslos. Nur deshalb wollt ihr das Banale ins Melodramatische steigern, indem ihr Abneigungen gegen bestimmte Leute hegt, Kollegen fertigmacht oder Verfolgungswahn entwickelt …
Vern tat das einzig Richtige. Er ging zur Arbeit und machte sich unsichtbar. Er erledigte seinen Job. Und er erledigte ihn gut. Er pflegte ein herzliches, aber distanziertes Verhältnis zu seinen Kollegen. Dann ging er nach Hause und vertiefte sich in seine musiktheoretischen Abhandlungen, die seinem Leben sicherlich jene Leidenschaft verliehen, die ihm ansonsten abging … oder die er gar nicht mehr anstrebte.
Vern. Nach jener Nacht in seinem Haus begrüßte er mich einfach mit einem höflichen Nicken im Flur oder die seltenen Male, die wir uns im Aufenthaltsraum sahen, mit einem hastigen »Hallo, Jane«. Er schien mir aus dem Weg zu gehen, als ob er an jenem Abend zu viel von sich erzählt, mir mehr verraten hätte, als ihm lieb war. Obwohl ich fand, dass man seine heimliche Autorentätigkeit publik machen und feiern sollte, verstand ich auch, warum er sie für sich behielt. In dem kleinen Kosmos unserer winzigen Bibliothek ließ sich alles heruntermachen und gegen einen verwenden – vor allem, wenn man sich über das normale, prosaische Maß hinaus engagierte.
»Und der hält sich wirklich für einen Musikkritiker? Keiner, der nur einigermaßen bei Verstand ist, kann den mit einem Buch beauftragen.«
Kein
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