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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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zulassen. Sie gilt als gemeingefährlich. Tja, so ist das.«
    Wieder begann sein Zeigefinger, unablässig über das Whiskeyglas zu kreisen.
    »Welche Medikamente nehmen Sie?«, fragte er.
    »Schon mal was von Mirtazapin gehört?«
    »Das ist seit fünf Jahren mein ständiger Begleiter.«
    »Für dieses Medikament ist das aber eine ziemlich lange Einnahmezeit.«
    »Nur deshalb kann ich schlafen. Und das konnte ich jahrelang nicht.«
    »Und ob einen das schlafen lässt!«
    »Wie viele Milligramm nehmen Sie?«
    »Fünfundvierzig.«
    »Im ersten Stock, rechts neben der Treppe, ist ein Gästezimmer. Daneben gibt es sogar ein eigenes Bad.«
    »Ich würde lieber nach Hause fahren.«
    »Und ich möchte, dass Sie sich heute Abend nichts antun.«
    »Im Moment geht es mir gut.«
    »Genau eine Stunde nachdem ich einem Freund versichert hatte, dass es mir gut geht, bin ich aus dem fahrenden Wagen gesprungen. Sie bleiben hier, bis ich die Tabletten geholt habe. Dann gehen Sie nach oben und schlafen. Neben dem Bett stehen ein Radio und ein paar Bücher. Aber die Tabletten sollten wirken – und wenn Sie morgen aufwachen, haben Sie diesen Jahrestag hinter sich gebracht.«
    »Ich werde mich immer noch furchtbar fühlen.«
    »Natürlich. Aber zumindest werden Sie nicht mehr auf diesen Tag fixiert sein.«
    Er kam kurz darauf mit den Tabletten, einem Glas Wasser und ein paar Handtüchern zurück. Einerseits dachte ich: Das ist wirklich zu merkwürdig. Andererseits wäre ich am liebsten hinaus in die Nacht gestürzt.
    Aber eine kleine Stimme der Vernunft machte mir unmissverständlich klar: Nimm die Tabletten und geh schlafen. Du weißt nicht, was passiert, wenn du dich deinen düsteren Gedanken überlässt.
    Also nahm ich sein Angebot an und ging nach oben. Das Zimmer war mit den gleichen sepiafarbenen Blümchentapeten tapeziert. Das Bett erinnerte an einen Schlitten und war mit Puppen geschmückt. Es gab mehrere gerahmte Porträts von einem Mädchen – als Baby, als Kindergartenkind und schließlich als Teenager. War das Lois? Und waren das ihre Puppen? Würde ich in dem Zimmer seiner verlorenen Tochter schlafen, in einem Zimmer, in dem sie nie geschlafen hatte, da Vern erst hierhergezogen war, nachdem man sie eingewiesen hatte?
    Wieder wollte ich fliehen. Und wieder sagte ich mir: Es ist nur diese eine Nacht, und ich glaube nicht, dass er der Typ ist, der mich hier um drei Uhr früh nackt überfällt. Ich nahm die Tabletten und dachte: So, jetzt ist es entschieden. Ich benutzte das Bad. Ich schlüpfte zwischen die rosa Blümchenbettwäsche. Ich machte das Licht aus. Meine Armbanduhr leuchtete im Dunkeln. Es war erst acht Uhr abends. Die Schlafenszeit eines Kindes. Aber heute Abend war ich ein Kind, das früh zu Bett geschickt wurde. Ins Zimmer eines Kindes, das nie in diesem Bett gelegen hatte und dessen Gegenwart ich spürte, während die Tabletten ihre Wirkung taten und …
    Laut meiner Armbanduhr war es halb sechs Uhr früh. Ich hatte neuneinhalb Stunden geschlafen, konnte mich also nicht beschweren. Trotzdem fühlte ich mich desorientiert, als ich in diesem merkwürdigen Bett in diesem merkwürdigen Haus aufwachte und mich fragte, ob das laute Schnarchen wohl von Vern kam.
    Ich stand auf, ging ins Bad, zog mich an und machte sorgfältig das Bett. Unten im Erdgeschoss entdeckte ich in der Küche ein Telefon, rief die Taxizentrale an und bestellte einen Wagen in die …
    Ich erinnerte mich doch tatsächlich an die Adresse und bat darum, dass der Fahrer nicht klingeln sollte, wenn er käme. Wie auch die übrige Einrichtung stammte die Küche noch aus einer anderen Ära. Der Kühlschrank war gut und gerne dreißig Jahre alt. Es gab einen Resopaltisch mit Sets, die Fotos von »berühmten kanadischen Naturschönheiten« zeigten. Dafür gab es keine Spülmaschine, keine Mikrowelle, keine schicke Espressomaschine, und der Toaster mit Klappmechanismus war noch aus Blech. Vern gab Tausende für die neueste Stereoanlage aus, ignorierte aber ansonsten jeden modernen Schnickschnack. Nun, jeder setzte andere Prioritäten.
    Ich kritzelte folgende Nachricht auf einen Block, den er vom hiesigen Makler bekommen hatte:
    Ich habe so gut geschlafen, dass ich schon vor Tagesanbruch aufgewacht bin. Du warst – ich darf doch Du sagen? – unglaublich liebenswürdig und anständig zu mir – in einem Moment, in dem ich das eigentlich nicht verdient hätte. Ich hoffe sehr, dass wir jetzt Freunde sind – ich betrachte Dich jedenfalls als einen.
    Wir

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