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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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Kritiken?«
    »Ja … und arbeite außerdem an …«
    Wieder verstummte er, unsicher, ob er mir noch mehr anvertrauen wollte.
    »Reden Sie weiter«, sagte er.
    »Ich schreibe ein Fachbuch.«
    »Das ist ja fantastisch. Eine Auftragsarbeit?«
    Er nickte.
    »Für welchen Verlag?«
    »McGraw-Hill.«
    »Das ist der wichtigste Fachbuchverlag der Vereinigten Staaten. Ich nehme an, es ist ein musikwissenschaftliches Fachbuch?«
    »Es ist so was Ähnliches wie das Oxford Dictionary of Music – aber für Highschool-Schüler. Lebensläufe der wichtigsten Komponisten von Hildegard von Bingen bis Philip Glass.«
    »Wie sind Sie an so einen Wahnsinnsauftrag gekommen?«
    »Ich habe ihnen einen langen Brief geschrieben – über meinen persönlichen Hintergrund, meine Erfahrung als Lehrer, meinen Universitätsabschluss, meine Beiträge für verschiedene Zeitschriften – und außerdem ein recht ausführliches Exposé beigelegt. Ich hätte nie erwartet, etwas von ihnen zu hören, aber aus heiterem Himmel rief mich einer ihrer Lektoren namens Campbell Hart an. Er lud mich zu einem Treffen nach New York ein. Er bot mir sogar an, das Flugticket und eine Hotelübernachtung zu bezahlen. Ich war schon eine Ewigkeit nicht mehr in New York gewesen … meine Güte, seit meinem Studium, Ende der Sechziger.«
    »Welche Universität haben Sie besucht?«
    »Die von Toronto – und das Royal College of Music in London. Aber das ist lange her.«
    Jetzt war ich an der Reihe, ihn sorgfältig zu mustern, um zu sehen, ob er die Wahrheit sagte.
    »Was haben Sie am Royal College studiert?«
    »Klavier.«
    »Sie wurden als Pianist angenommen?«
    »Das ist lange her.«
    »Aber … am Royal College of Music in London! Sie müssen ein bemerkenswerter Pianist gewesen sein.«
    »Lassen Sie uns wieder nach oben gehen«, sagte er.
    Er begann, sämtliche Lichter auszumachen, und begleitete mich zurück ins Wohnzimmer.
    »Möchten Sie jetzt besagten Whiskey?«, fragte er.
    »Gern.«
    »Mit Wasser oder Eis?«
    »Nein, pur.«
    Als er mir zwei Fingerbreit einschenkte, bemerkte ich, dass seine Hände leicht zitterten. Er reichte mir das Glas und schenkte sich ebenfalls ein wenig ein, wobei er strikt darauf achtete, dass eine bestimmte Menge nicht überschritten wurde.
    »Ihr Haus gefällt mir«, sagte ich.
    »Ich habe nicht viel verändert.«
    »Aber es ist sehr solide.«
    »Wenn meine Mutter Sie jetzt hören könnte, würde sie sich freuen. Sie hat alles ausgesucht.«
    »Was hatte sie für einen Beruf?«
    »Sie war Musiklehrerin an einer Highschool, hier in Calgary.«
    »War sie Ihre Klavierlehrerin?«
    Er nickte langsam, woraufhin er einen kleinen Schluck Whiskey nahm.
    »Sie muss so stolz auf Sie gewesen sein, als Sie ans Royal College of Music gingen!«
    Er entgegnete nichts und kippte den Rest des Whiskeys auf einmal hinunter. Dann starrte er lange in sein Glas.
    »Habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf und spielte mit seinem Glas, während er sich verstohlen nach der Flasche Crown Royal umsah. Es war offensichtlich, dass er sich nach einem weiteren Drink sehnte – sich aber mit einem begnügen musste.
    Schließlich sagte er: »Ich hatte ein Vollstipendium für die University of Toronto. Dort studierte ich bei Andrej Pietkowski, einem polnischen Emigranten – brillant und sehr anspruchsvoll. Er glaubte, ich hätte das Zeug dazu, wäre der nächste Glenn Gould. Er ließ mich sogar diesem österreichischen Pianisten namens Brendel vorspielen, als dieser nach Toronto kam. Brendel lebte in London. Er besaß Verbindungen zum Royal College. Dort erhielt ich ein Vollstipendium. Das war 1972.«
    »Und dann?«
    »Ich ging nach London. Ich begann am Royal College zu studieren. Und dann …«
    Wieder ein plötzliches Schweigen.
    »Möchten Sie noch einen Whiskey?«, fragte er.
    »Gern«, sagte ich und hielt ihm mein Glas hin. Er goss mir mehrere Fingerbreit ein. Und während zwei deutlich zu erkennende Schweißperlen über sein Gesicht rannen, schenkte er sich auch noch einen Fingerbreit ein. Gleich darauf erhob er sich und verschwand mit der Flasche in die Küche.
    Als er zurückkam, sagte er: »Wenn Sie sich nachschenken wollen – die Flasche steht neben der Spüle. Aber wenn ich noch mehr trinken will, verbieten Sie es mir, verstanden?«
    »Natürlich«, sagte ich.
    Als er das Glas hob, sah ich, dass seine Unterlippe leicht zitterte. Nachdem er es auf einen Zug geleert hatte, kniff er die Augen zusammen. Trotz eines Rests von Unruhe

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