Aus der Welt
Tür zu Emilys Zimmer zugemacht und weigerte mich, es zu betreten. Ich hielt meine Seminare. Ich empfing meine Studenten. Ich ging meinen Kollegen aus dem Weg. Ich schien zu funktionieren … obwohl ich zunehmend die Vorstellung hatte, in einem Betontunnel zu leben. Ich konnte mich gerade noch so bewegen, aber er engte mich brutal ein. Es gab keinen Notausgang, kein Licht am Ende des Tunnels. Doch ich redete mir wie manisch ein, dass ich mich nur an seine Grenzen gewöhnen müsse. Dann würde ich es schon irgendwie schaffen …
Etwa zwei Wochen lang funktionierte ich rund um die Uhr wie ein Roboter. Wenn mich an der Uni irgendjemand fragte, wie es mir ginge, wechselte ich sofort das Thema. Es ging mir so, wie es mir eben ging. Ich kam zurecht. Aber wenn ich allein war, rastete ich total aus. Aber das konnte ich damals nicht zugeben.
Dann geschahen zwei Dinge: Mein Anwalt rief an, um mir zu sagen, dass Theo wieder aufgetaucht sei. Er hätte sich mit seiner Geliebten in Marokko verkrochen, während sein Anwalt irgendwelche Deals mit der Firma schloss, die ihm den Film weggenommen hatte. Ich bekam nicht alles mit – es interessierte mich auch gar nicht –, aber im Grunde ging es darum, dass Theo und diese Schlampe Adrienne mit allen möglichen Prozessen drohten. Ihr Jurist hatte irgendeine Möglichkeit gefunden, zu verhindern, dass der Film in die Kinos kam. Die Filmfirma hatte viel Geld und willigte ein, sämtliche Schulden, die Theo und Adrienne angehäuft hatten, zu bezahlen. Dafür verpflichteten sich diese, keine weiteren Prozesse mehr anzustrengen … und schwuppdiwupp waren sie schuldenfrei.
Mein Anwalt sagte, er hätte sogar mit Theo gesprochen. Er sei ›am Boden zerstört‹ wegen dem, was seiner Tochter zugestoßen wäre. Er wolle mit mir sprechen … mich aber auch nicht direkt anrufen. Ich weiß noch, dass ich meinem Anwalt sagte: ›Wie mutig von ihm!‹, und dann hinzufügte: ›Richten Sie ihm aus, dass ich nie mehr wieder etwas von ihm hören will. Nie mehr !‹
Theo muss ihn beim Wort genommen haben, da ich tatsächlich nichts von ihm hörte. Aber zehn Tage später saß ich in einem Lokal in der Nähe des Harvard Square und aß etwas. Es war so gegen acht. Das Diner hatte sich zu dem Ort entwickelt, an dem ich sämtliche Mahlzeiten einnahm, da ich es nicht aushielt, in meiner Wohnung zu sein – außer um mithilfe von Zopiclon und Rotwein zu schlafen. Die Kellner kannten mich inzwischen und wussten, dass ich immer ein gegrilltes Käsesandwich und einen Kaffee bestellte, sodass das Essen fünf Minuten kam, nachdem ich mich hingesetzt hatte.
Aber an dem bewussten Abend blickte ich auf, als das Sandwich gebracht wurde, und sah, dass Theo und Adrienne hereinkamen. Sie bemerkten mich nicht gleich, denn ich saß weiter hinten in einer Nische. Ehe ich wusste, was ich tat, warf ich etwas Geld auf den Tisch und griff nach meinem Mantel und der Gabel neben meinem Teller. Ich ging schnurstracks auf Theo und Adrienne zu. Sie warteten darauf, einen Platz zugewiesen zu bekommen. Adrienne sah mich zuerst und sagte doch tatsächlich: ›Jane! Oh, mein Gott, wir sind so was von …‹
Noch bevor sie ihren Satz beenden konnte, nahm ich die Gabel und rammte sie ihr seitlich in den Hals. Sie schrie, alles war voll Blut. Ich ging weiter zur Tür, rannte über die Straße zu einem Taxistand und sprang in einen der Wagen, bevor mich jemand aufhalten konnte …
Zehn Minuten später war ich zu Hause. Ich warf Kleidung in eine Reisetasche. Ich griff nach den nötigen Ausweisen, einschließlich meiner beiden Pässe, noch etwas Bargeld und Travellerschecks. Ich warf alles in meinen Wagen und fuhr los.
Zehn Tage später fuhr ich in eine Schneewehe in Montana. Und …«
Ich verstummte erneut.
»Hier ist meine Geschichte zu Ende«, sagte ich. »Nur dass die Frau, die ich erstechen wollte, überlebt und keine Anklage gegen mich erhoben hat. Und als ich meinen Selbstmordversuch versaut habe … Wer weiß, vielleicht ist das die Strafe: Dass ich weiterleben muss, weil ich meine Tochter getötet habe …«
Endlich ergriff Vern das Wort.
»Du hast deine Tochter nicht umgebracht.«
»Hast du überhaupt mitbekommen, was ich dir gerade erzählt habe?«
»Du hast deine Tochter nicht umgebracht.«
»Und was ist mit den vielen Ratschlägen, die ich bekam? Es gab so vieles, was ich hätte tun können, um die Katastrophe zu vermeiden … Und was habe ich getan?«
»Du hast sie nicht umgebracht. Mehr gibt es dazu nicht zu
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