Aus der Welt
Schulder. Sie sagte mir, dass die Schule beschlossen hätte, der Presse keine Interviews zu geben.
»Wir haben nichts dazu zu sagen«, meinte sie.
»Kannten Sie Ivy persönlich?«, fragte ich.
»Natürlich kenne ich Ivy«, sagte sie. »Sie war zwei Jahre lang bei mir in der Hausaufgabenbetreuung. Ein nettes Mädchen. Den Vater mochte ich auch – obwohl er etwas jähzornig sein konnte.«
»Aber hat sich sein Zorn jemals gegen die Tochter gerichtet?«
»Was möchten Sie jetzt gerne hören?«, fragte sie.
»Gar nichts, Madam … unser Gespräch ist vollkommen vertraulich.«
»Das sagen alle.«
»Ganz ehrlich – ich glaube nicht, dass er es war.«
»Und wie kommen Sie darauf, Miss …?«
»Lloyd. Nancy Lloyd. Nun, weil ein Schuldiger ein blutbeflecktes Kleidungsstück nie in seiner Werkstatt aufbewahren würde.«
»Ganz meine Meinung«, sagte sie leise, aber aufgeregt. »Und ich kann Ihnen noch etwas sagen, Miss Lloyd: Die Frau habe ich nie gemocht. Und seit sie bekehrt wurde … nun ja, ›unerträglich‹ ist da noch das Netteste, was man über sie sagen kann. George mag aus ärmlichen Verhältnissen stammen, er mag auch seine Aggressionen nicht richtig unter Kontrolle haben. Mit seinem Sohn Michael hatte er ebenfalls Probleme, aber den hielt ich schon immer für reichlich durchgeknallt …«
»Warum denn das?«
»Er hing immer mit diesen Biker-Typen rum, nahm jede Menge Drogen und gab seinem Dad ständig Widerworte. Soweit ich weiß, wurde George stocksauer, als er entdeckte, dass Michael mit Crystal dealte. Brenda, seine Frau, verteidigte ›ihren armen kleinen Jungen‹ und schickte ihn zu Verwandten. Michael kam auf den rechten Weg und überführt jetzt Lastwagen. Aber wenn ich Journalistin und auf den Fall angesetzt wäre, würde ich mir die Frau mal genauer ansehen. Sie ist White Trash , das war sie schon immer. Ihre Mutter hat nämlich als Prostituierte in Winnipeg gearbeitet – was für ein Ort für ein leichtes Mädchen! Und ihr Vater hat ihren älteren Bruder im Streit bewusstlos geprügelt, sodass er eine Woche im Koma lag und anschließend nicht mehr derselbe war. Ihr Dad musste deswegen sieben Jahre ins Gefängnis.
Aber das größte Gerücht über Brenda stammt aus Red Deer, dem Ort, in dem sie aufwuchs: Nach einer Vergewaltigung durch den eigenen Vater soll sie mit dreizehn schwanger geworden sein. Sie ließ eine Abtreibung vornehmen, und er wurde nie angezeigt. Drei Jahre später lernte sie George MacIntyre kennen. Er war damals vierundzwanzig und arbeitete als Fernfahrer. Er machte den Fehler, sich in einer Fernfahrerkneipe in Red Deer in Brenda zu vergucken. Das endete damit, dass ›sie es taten‹, und zwar in der Koje seines Pick-up. Und schwuppdiwupp war sie schwanger.«
George MacIntyre hatte also schon sehr früh die Angewohnheit gehabt, in seinen Pausen Frauen aufzureißen und seine Schlafkoje hinter dem Führerhaus als Liebesnest zu benutzen.
Aber warum hatte er dann den Anstand, Brenda zu heiraten? Und wie machte sie ihn ausfindig, nachdem sie von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte? Laut Missy Schulder lebte das Paar sechs Jahre lang in Red Deer, wo auch Ivy geboren wurde. Dann verlor MacIntyre seinen Job wegen exzessiven Trinkens. Also zog die Familie nach Townsend, wo er die Möglichkeit bekam, bei einem alten Freund der Familie eine Schreinerausbildung zu machen. Doch dann lief alles gründlich schief.
Ich notierte alles, was aus ihr heraussprudelte, und war so aufgeregt wie eine echte Journalistin, die unvermittelt an heiße Informationen gerät.
»Könnten Sie das noch etwas näher ausführen?«, bat ich sie.
»Ich glaube, ich habe bereits genug gesagt.«
»Eines noch: Die anderen beiden Mädchen aus Ihrem Ort, die ebenfalls vermisst werden …«
»Sie meinen Hildy Krebs und Mimi Pullinger?«
Ich notierte mir die Namen.
»Ja, genau«, sagte ich und versuchte, wissend zu klingen. »Hildy und Mimi.«
»Nun, Hildy verschwand 2002 und Mimi 2005. Beide waren damals etwas älter als Ivy, so fünfzehn, sechzehn. Und beide waren äußerst schwierige Mädchen: Hildy wurde mit vierzehn schwanger und verlor das Kind früh wegen einer Überdosis Drogen. Und Mimi flog zweimal von der Schule, weil sie auf dem Klo Klebstoff geschnüffelt hatte. Dann ist sie eine Weile mit einem Biker herumgezogen …«
»Sie scheinen ja in einem beschaulichen kleinen Städtchen zu leben.«
»Schreiben Sie bloß nichts davon in Ihrer Zeitung. Townsend ist im Großen und Ganzen ziemlich in
Weitere Kostenlose Bücher