Aus der Welt
Stück Holz hinein. Er machte einen sauberen Schnitt, blickte auf und sah mich.
»Sind Sie Nancy?«, fragte er und nahm die Schutzbrille ab. Der schlanke, zierliche Mann war Ende fünfzig, trug ein kariertes Flanellhemd, ausgebeulte Jeans und eine runde Nickelbrille. Ich konnte mir gut vorstellen, wie er vor dreißig Jahren mit Haschpfeifchen und Batik-T-Shirt ausgesehen hatte. Jetzt wirkte er ruhig, reserviert und eher schüchtern. Seine Werkstatt war perfekt organisiert: Alle Werkzeuge waren tadellos verstaut, an der einen Wand standen schon fertige Schränke (die Verarbeitung war beeindruckend), die andere wurde von Zeichnungen, Plänen und einer großen Werkbank gesäumt. Hinter der Werkbank hing ein Foto, das Dwane und einen jungen Mann in der Uniform der kanadischen Armee zeigte.
»Danke, dass Sie mich so kurzfristig empfangen«, sagte ich und erwiderte seinen Händedruck.
»Sie sind ungefähr die fünfte Journalistin, die bis zu mir vorgedrungen ist«, sagte er.
»Ich werde nicht viel von Ihrer kostbaren Zeit beanspruchen.«
Er ging vor in seinen Bürobereich, wo er gerade Kaffee kochte.
»Sie haben Glück«, sagte er. »Ich habe gerade einen neuen aufgesetzt.«
»Ist das Ihr Sohn?«, fragte ich und zeigte auf das Foto, das ich soeben entdeckt hatte.
»Ja, das ist David. Er ist gerade in Afghanistan. Als Teil der kanadischen NATO -Truppen bei Kandahar.«
»Das muss Sie mit Stolz, aber auch mit Sorge erfüllen«, sagte ich vorsichtig.
»Eher Letzteres«, meinte er. »Ich weiß wirklich nicht, was wir da unten zu suchen haben. Aber ich bin kein Politiker, und mein Junge hat sich verpflichtet. Also muss er wohl oder übel mit dem Risiko leben, das damit verbunden ist.«
Er schenkte mir eine Tasse Kaffee ein und bat mich, auf einem schlichten Holzstuhl hinter seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Ich zückte mein Notizbuch und einen Stift. Er selbst setzte sich auf die Schreibtischkante und bereute sichtlich, sich überhaupt auf das Interview eingelassen zu haben.
»Wissen Sie, George war vielleicht der beste Schreiner, dem ich je begegnet bin. Als ich vor etwa vierzig Jahren in die Lehre ging, musste ich mir alles hart erarbeiten. Ich musste mich wirklich anstrengen, die Grundlagen zu beherrschen. Aber George ist hier einfach reinmarschiert und saß schon nach einer Stunde an der Drechselbank, als ob er nie etwas anderes getan hätte. Er hatte ein Auge dafür, Holz gegen die Maserung zu arbeiten. Er war wirklich ein Naturtalent.«
»Hat er oft über seine familiären Probleme gesprochen?«
»Im ersten halben Jahr sprach er nur über die Arbeit, sobald er seinen Fuß in die Werkstatt gesetzt hatte. Er war hier, um ein Handwerk zu lernen, einen Beruf – und er war sehr motiviert. Er bekam damals Sozialhilfe, aber die Provinzregierung zahlte ihm für die Wiedereingliederungsmaßnahme bei mir ebenfalls Geld.
Viel war das nicht – etwa 200 Dollar die Woche –, und ich merkte, dass das Geld knapp war, zumal seine Frau damals noch nicht arbeitete. Aber darüber hat er, wie gesagt, kein Wort verloren – bis er eines Tages mit einer Wunde über dem Auge ankam. Ich fragte, was passiert sei. Er meinte, Brenda sei betrunken gewesen und habe angefangen, heftig mit Ivy zu streiten. Sie habe das Mädchen angeschrien und es ins Gesicht geschlagen. Als George versuchte, Ivy wegzuziehen, schnappte sich Brenda eine Eisenstange und erwischte ihn direkt über dem Auge. Er musste ins Krankenhaus und wurde dort mit fünf Stichen genäht. Außerdem machte er den großen Fehler, Brenda zu decken, indem er dem diensthabenden Arzt sagte, der Schmiss stamme von einer Kneipenschlägerei. Diese Notiz in der Patientenakte wird nun gegen ihn verwendet. Zumal es da noch einen anderen Vorfall gab, bei dem sie ihm mit einem Faustschlag die Nase brach. Wieder erzählte er den Ärzten, es habe sich um eine Schlägerei im Suff gehandelt. Und ausgerechnet diese beiden aktenkundig gewordenen ›Kneipenschlägereien‹ werden jetzt als weiteres Beweismaterial für seine Gewaltbereitschaft angeführt.«
»Sie sprechen von ›weiterem Beweismaterial‹. Gab es denn sonst noch irgendwelche Gewaltausbrüche?«
»Fest steht, dass er sie einmal in den Unterleib geschlagen hat, aber angeblich erst, nachdem sie ihn an den Haaren gezogen und versucht hat, ihn mit heißem Wasser zu verbrühen. Bei diesem Schlag kippte sie jedenfalls um und schlug mit dem Kopf auf die Küchentheke. Ivy kam herein, sah, was los war, rannte auf ihr Zimmer,
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