Aus der Welt
absurde Unterfangen irgendetwas beweist, dann nur, dass es David Henry endgültig verdient hat, durchschaut zu werden.«
Es gibt Momente, in denen einem die Grausamkeit anderer Menschen einfach nur die Sprache verschlägt. Ich las die Kritik in einem kleinen Café in der Brattle Street und hatte Mühe zu verstehen, wie man nur so sadistisch sein konnte. Na gut, David hatte ein Buch geschrieben. Aber musste man deshalb gleich seinen Ruf ruinieren, ihn auf jedem Gebiet als Hochstapler hinstellen?
Ich ließ die Zeitung sinken und verstieß gegen eine der festen Abmachungen, die ich mit David getroffen hatte – nämlich nur zu unserer wöchentlichen Besprechung in seinem Büro aufzutauchen. Als ich dort ankam, war die Tür geschlossen, an ihr hing ein Zettel mit seiner krakeligen Handschrift:
Ich bin heute nicht zu sprechen.
Am Nachmittag waren wir in meiner Wohnung verabredet; es war das erste Mal, dass er ein Rendezvous ausfallen ließ – er hinterließ eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter. Zu Hause konnte ich ihn unmöglich anrufen, dafür sprach ich ihm eine sehr neutrale, sachliche Nachricht auf den Büro- Anrufbeantworter: »Professor Henry, hier spricht Jane Howard. Ich muss Sie wegen eines Terminproblems dringend sprechen. Rufen Sie mich doch bitte zurück unter …« Ich bekam keine Antwort.
Zwei, drei Tage vergingen. Sein Büro blieb geschlossen, der Zettel Ich bin heute nicht zu sprechen hing nach wie vor an seiner Tür. Ich machte mir zunehmend Sorgen, ja geriet fast in Panik, zumal David wenige Tage nach der Times -Kritik noch einen weiteren herben Schlag einstecken musste. Ein Kolumnist der Zeitschrift New York hatte die vernichtende Kritik ebenfalls gelesen und nachrecherchiert, ob Davids Roman irgendwelche Vorläufer hatte. Und siehe da, er entdeckte, dass einer der berühmtesten französischen Noveaux Romans, Michel Butors La Modification , im Stil des Bewusstseinsstroms von einem Autor erzählt, der mit irgendeinem Europa-Express zwischen Paris und Rom hin- und herpendelt und sich dabei ausführlich Gedanken über seine Frau und seine Geliebte macht.
»Ja, Professor Henry erwähnt La Modification flüchtig in seinem übertrieben obskuren Band«, schrieb der Journalist, »und zwar, als der Erzähler überlegt, ein Buch zu schreiben, ›das Butor überbutort ‹. Aber dieser eine versteckte Hinweis befreit Henry nicht von dem Vorwurf, die gesamte Struktur und den Plot eines anderen Romans in seinen eigenen überführt zu haben. Aber vielleicht hat der gute Mann ja auch eine dekonstruktivistische Theorie für diesen Fall einer modernen Aneignung parat, die Normalsterblichen unter dem Begriff Plagiat bekannt sein dürfte.«
Sobald ich das las, rannte ich in die Uni-Buchhandlung, um mir eine englische Übersetzung von Butors Roman zu kaufen. Wie in Der 49. Breitengrad war die Erzählstruktur auch hier sehr komplex und elliptisch, der innere Monolog dominierte. Aber davon abgesehen hätten die beiden Bücher nicht unterschiedlicher sein können. Insofern spielte es eigentlich keine Rolle, dass es in Bezug auf den Mann, der unterwegs ist und zwischen zwei Frauen steht, Parallelen gab. Jede Literatur ist in der einen oder anderen Form die Neuerfindung eines bereits bestehenden Werks. Nur ein gehässiger Kritiker – der es sich in den Kopf gesetzt hat, einen talentierten Autor fertigzumachen – kann eine eindeutige Hommage mit einem Plagiat gleichsetzen.
Ich versuchte erneut, David im Büro zu erreichen. Ich rief sogar die Fakultätssekretärin Mrs Cathcart an. In einem sehr neutralen Ton bat ich sie, Professor Henry doch bitte auszurichten, dass ich den Plagiatsvorwurf für völlig absurd hielt.
Mrs Cathcart, die um die sechzig und bereits seit Anfang der 1970er-Jahre Fakultätssekretärin war, schnitt mir das Wort ab.
»Ich fürchte, die Universität hält ihn nicht für absurd, da Professor Henry heute von all seinen Verpflichtungen entbunden wurde, bis ein Fakultätskomitee die Vorwürfe gegen ihn untersucht hat und …«
»Aber das ist doch lächerlich! Ich habe den anderen Roman gelesen, und von einem Plagiat kann keine Rede sein.«
»Das ist Ihre Interpretation, Miss Howard«, erwiderte Mrs Cathcart. »Das Fakultätskomitee wird …«
»… ihn fertigmachen, da er genügend Feinde hat, die …«
Erneut schnitt sie mir das Wort ab. »Wenn Sie Professor Henry helfen wollen, würde ich mich öffentlich lieber nicht so äußern. Das bringt die Leute nur auf komische Ideen.«
»Auf was
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