Aus der Welt
Meisterwerk.«
Diese Bemerkung traf mich wie eine Ohrfeige, aber er sprach ungerührt weiter.
»Eine Zeit lang hat sie mich sogar gedrängt, radikal mit der traditionellen Erzählstruktur zu brechen.«
»Sie findet also, dass es ein fantastischer Roman ist.«
»Ihr Lob scheint dich zu stören.«
Ganz einfach, weil ich ihm nicht traute. Weil ich spürte, dass Polly David drängte, hypermodern zu schreiben, nur um seine einst brillante Karriere zu bremsen. Und weil ich spürte, dass David – der sich wegen ihrer Depressionen und seiner lang anhaltenden Affäre mit mir schuldig fühlte – versuchte, ihr zu gefallen. Wenn er vorgab, dieses Buch zu schreiben, während er in Wahrheit dreimal die Woche Sex mit mir hatte – warum sollte er seine Schuld nicht dadurch wiedergutmachen, dass er auf sie hörte und den dornigen Weg der hochliterarischen Moderne beschritt? Auf diese Weise kann die Ehefrau nur gewinnen. Sie bringt ihren Mann erfolgreich dazu, zugunsten einer ästhetischen Nische auf breiten Erfolg zu verzichten. Sie kann sich mit Fug und Recht als Davids Muse bezeichnen. Und wenn alles gut geht, macht sie ihn fertig. Denn wenn das Buch herauskam, um gleich darauf wieder in der Versenkung zu verschwinden, würde David garantiert wieder eine Schaffenskrise bekommen und sich fragen, ob es ihm jemals gelingen würde, noch einen Roman zu schreiben.
All das ging mir innerhalb weniger Sekunden durch den Kopf. Obwohl ich die Folgen absehen konnte, war ich nicht in der Lage, etwas zu sagen. Hätte ich meine Gedanken ausgesprochen, hätte ich ihn verloren. Also sagte ich: »David … wie du bereits vermutet hast, ist das einfach kein Roman für mich. Schön, dass Polly ihn so schätzt. Und seien wir doch mal ehrlich: Ich kann mich auch irren.«
Näher sollten wir einem Streit nie kommen – und es war mal wieder typisch, dass ich ihn entschärfte, statt Tacheles zu reden. An diesem Nachmittag nahm er das Manuskript wieder mit. Monate vergingen. Wir sahen uns weiterhin an drei Nachmittagen die Woche. Als der Erscheinungstermin Ende Januar näher rückte, gab David endlich zu, dass er nervös war, was die Reaktion auf seinen Roman betraf.
»Nun, eines sollte dir klar sein«, sagte ich. »Ein so extremer moderner Stil hat die Leser schon immer gespalten. Du wirst also höchst unterschiedliche Reaktionen bekommen. Aber das ist schließlich nichts Schlimmes.«
Wie sich herausstellte, bewahrheitete sich mein Katastrophenszenario. Weil es David Henrys erster Roman nach einer langen Schaffenspause war – und Pentameter Press als renommierter Verlag galt –, bekam er eine Flut von Kritiken. Mit ein oder zwei Ausnahmen wurde er verrissen. Der Atlantic brachte die erste Rezension – und sein Kritiker (ein selbst ernannter Bewunderer Davids) gab sich erstaunt, warum dieser »so rein gar nichts aus seinem Talent als angesagter, humorvoller und einfühlsamer Romancier« gemacht und stattdessen diesen »unsinnigen Krampf« verfasst hätte. Der New Yorker beschränkte sein Lob auf einen Absatz: »Ein Campus-Schriftsteller beschließt, auf den Spuren von Joyce zu wandeln – und das ausgerechnet auf einer kanadischen Autobahn! Das Ergebnis ist ein Roman, der sich liest wie eine Parodie auf den französischen Nouveau Roman … wobei es wahrscheinlich noch nie einen französischen Nouveau Roman gab, in dem so oft von Genitalien und Donuts mit Ahornsirupglasur die Rede ist … Das dürfte in der Literaturgeschichte wirklich einmalig sein …«
Aber es war die New York Times , die ihn wirklich in Grund und Boden stampfte. Ihrer Rezensentin – deren Namen ich gar nicht nennen will, so wütend bin ich immer noch über ihre extreme Gehässigkeit – genügte es nicht, den Roman wegen seiner offensichtlichen Schwächen zu zerreißen. Stattdessen nutzte sie ihn als Vorwand, um über Davids zwei Vorgängerromane herzufallen und zu behaupten, seine einst behauptete Brillanz wäre nichts weiter als »eine schäbige Fassade. Sie hat es ihm erlaubt, einem naiven Publikum weiszumachen, dass er der Mr. Universum und Universalgelehrte in einer Person ist, von dem jede Radcliffe-Studentin träumt …, während ihn eine genauere Lektüre seines überschaubaren Werks als zweitklassigen Intellektuellen entlarvt, der es mit seiner typischen amerikanischen Werbeprosa irgendwie geschafft hat, akademische Weihen zu erhalten … und der jetzt so anmaßend ist, zu glauben, er könnte antinarrative Spielchen spielen, ohne sich zu offenbaren. Wenn dieses
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