Aus der Welt
Übersprungshandlung war. Deshalb möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen, Sergeant, weil ich Ihre kostbare Zeit verschwendet habe. Ich habe auch vor, Reverend Coursen zu schreiben und ihm mitzuteilen, wie leid es mir tut.«
»Wenn ich Sie das fragen darf, Miss Howard – wie schätzen Sie den Fall ein?«
Vorsicht, Vorsicht! Wenn du jetzt begeistert davon anfängst, dass er unbedingt Brendas dunkle Seite überprüfen soll, glaubt er bestimmt, dass du noch immer von dem Fall besessen bist.
Aber wenn du nichts sagst …
»Eines ist mir aufgefallen: Dwane Poole behauptet, George MacIntyre habe ihm selbst gesagt, dass seine Verletzungen, die im Krankenhaus behandelt werden mussten, nicht von einer Kneipenschlägerei, sondern von seiner Frau Brenda stammen.«
»Dasselbe hat uns MacIntyre persönlich gesagt. Natürlich sind wir der Sache nachgegangen. Sein Wort steht gegen ihres – und laut den Krankenhausakten hat er angegeben, dass seine Verletzungen von einer Kneipenschlägerei stammen.«
»Hat er Ihnen auch erzählt, dass Brenda Gewalt gegen Ivy angewendet hat?«
»Auch hier steht wieder sein Wort gegen das ihre. Die Polizei macht auch manchmal Fehler. Aber wir würden ihm Ivys Verschwinden nicht zur Last legen, wenn wir nicht genügend Beweise für seine Schuld hätten. Und die haben wir. Ich sage das nur, weil ich spüre, dass Sie immer noch an seiner Schuld zweifeln. Als Privatperson dürfen Sie das auch gerne tun – aber nur, solange Ihre Zweifel keine laufenden Ermittlungen beeinträchtigen. Verstehen Sie, was ich damit sagen will, Miss Howard?«
»Ich verspreche Ihnen, dass ich mich da in Zukunft raushalten werde.«
»Ich nehme Ihr Versprechen an. Angesichts Ihrer persönlichen Umstände will ich Nachsicht walten lassen. Aber eines sage ich Ihnen: Sollten Sie erneut Kontakt zu Personen aufnehmen, die in diesen Fall verwickelt sind, oder noch einmal in Townsend herumschnüffeln, werde ich Sie anzeigen. Ich hoffe, dass es nie dazu kommen wird.«
Eine halbe Stunde später durfte ich gehen. Ein uniformierter Beamter fuhr mich doch tatsächlich nach Hause. Als ich in die Wohnung kam, erwartete mich bereits eine Nachricht von Geraldine Woods auf dem Anrufbeantworter, sie bat mich dringend um einen Rückruf. Ich entsprach ihrer Bitte. Sie war freundlich und kam gleich zur Sache:
»Mal ganz abgesehen davon, dass uns die Polizei über Ihre Tätigkeit als ›Sonderermittlerin‹ informiert hat – Sie haben mich auch angelogen, warum Sie diese Woche nicht zur Arbeit erschienen sind. Würden Sie mir das bitte erklären?«
Ich nannte ihr dieselben Entschuldigungen wie dem Sergeant – und berief mich erneut auf seelischen Stress.
Sie hörte mich an und sagte: »Ich will das ausnahmsweise durchgehen lassen – wegen der Achtung, die ich Ihnen und Ihrer hervorragenden Arbeit entgegenbringe. Also sorgen Sie bitte in Zukunft dafür, dass ich Sie nicht entlassen muss, Jane. Und bitte erscheinen Sie am Montag wieder verlässlich zur Arbeit.«
Nach diesem Gespräch tat ich das einzig Mögliche: Ich kroch unter die Bettdecke und schlief wie ein Stein bis etwa Mitternacht. Als ich wach wurde, spürte ich jene vorübergehende Erfrischung, die eintritt, wenn man zwölf Stunden ununterbrochen geschlafen hat. Gleich darauf folgte jedoch das übliche, albtraumhafte Déjà-vu-Erlebnis, das ich inzwischen als festen Bestandteil eines jeden Morgens akzeptiert hatte. Aber als ich duschte, Kaffee machte und die Konzertnacht auf CBC Radio 2 hörte, kam mir ein anderer Gedanke: Angenommen, es gab noch so einen Fall, bei dem in einer kanadischen Kleinstadt drei Mädchen verschwunden waren?
Ehe ich mich’s versah, war ich angezogen und saß wieder im Internetcafé. Der Typ hinter der Theke begrüßte mich beim Hereinkommen mit einem gemurmelten »Hallo« und zählte mich zweifellos bereits zu seinen nächtlichen Stammkunden. Ich ließ einen schlechten Instantkaffee aus dem Automaten, setzte mich vor einen Monitor und machte mich an die Arbeit.
Acht Stunden später hatte ich nicht viel herausgefunden. In Kanada verschwanden ständig Kinder. Das Internet war voll von Suchaufrufen verzweifelter Eltern, die eine genaue Beschreibung ihrer verschwundenen Kinder durchgaben. Aber die meisten davon waren Ausreißer, und bis auf ein paar furchtbare Ausnahmen ließen sich die jungen Leute normalerweise in heruntergekommenen, besetzten Häusern in einem beliebigen finsteren Großstadtviertel ausfindig machen.
Eine Geschichte erregte
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