Aus der Welt
reingewaschen. Und jetzt nennen Sie mir einen – nur einen einzigen – guten Grund, warum Sie das größte Geschenk, das es gibt, nicht annehmen sollten.«
Endlich erwiderte ich seinen Blick und sagte: »Weil das alles lächerlich ist.«
Dann drehte ich mich um und ergriff die Flucht.
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Idiotisch!, dachte ich auf der ganzen Heimfahrt nach Calgary. Wie hatte ich nur so naiv sein und glauben können, Seine Heiligkeit würde mich nicht überprüfen? Der Kerl war ein superehrgeiziger Fernsehpriester in spe und als solcher extrem darauf bedacht, seinen Ruf zu wahren. Logisch, dass er sich telefonisch erkundigte, ob Nancy Lloyd die war, als die sie sich ausgab.
Das Allerschlimmste war jedoch, dass Coursen nicht dumm war und ein gutes Gespür für die Schwächen anderer Menschen besaß. Der Mistkerl las in mir wie in einem offenen Buch – und wusste instinktiv, wo meine wunden Punkte lagen.
»Im Gegenteil. Sie tun mir unendlich leid, weil Sie eine Wut und eine Trauer mit sich herumtragen, die sich gegen Sie selbst und Ihre gesamte Umwelt richtet. Und auch, weil Sie mit Sicherheit einsam und ohne Liebe sind. Trotzdem erteilen Sie Ihm, der Sie mehr liebt als jeder andere, eine Absage.«
Wenn Er mich liebte, wäre nichts von alledem je passiert. Aber um das zu sagen, hätte ich mich auf ein Gespräch über Emily einlassen müssen, was für einen Prediger wie Coursen ein Geschenk des Himmels gewesen wäre. Die trauernde Mutter auf der Suche nach Heilung. Leider hatte er mich trotzdem bei einer dicken Lüge ertappt und den Spieß so raffiniert umgedreht, dass ich mit dem Gefühl zurückblieb, vollkommen verrückt zu sein … Aber vielleicht war dem auch so.
Idiotisch! Du bist besessen von der Verfolgung eines traurigen Losers, den man vielleicht hereingelegt hat. Doch angesichts der widersprüchlichen Beweislage kann er genauso gut schuldig sein.
Jetzt musste ich mich fragen, ob Coursen sich wohl das Kennzeichen meines Wagens notiert und die Polizei verständigt hatte. Ob die sich wiederum mit der Autovermietung in Verbindung gesetzt und von ihr erfahren hatte, dass der Wagen an eine gewisse Jane Howard vermietet worden war, die …
Idiotisch.
Aber vielleicht hatte er Nächstenliebe walten und die ganze Angelegenheit auf sich beruhen lassen. Wenn ich viel Glück hatte, würde ich vielleicht noch einmal davonkommen.
In jener Nacht lag ich in meiner kleinen Wohnung wach. Als ich merkte, dass ich ohnehin nicht mehr einschlafen würde, ging ich in ein rund um die Uhr geöffnetes Internetcafé an der 17th Avenue und googelte alles, was ich über den Reverend Larry Coursen herausfinden konnte. Die meisten Artikel bezogen sich auf den Fall Ivy MacIntyre. Aber ich stieß auch auf die offizielle Website der Pfingstgemeinde von Townsend. Dort sah man viele Hochglanzfotos von Coursen, auf denen er die Messe feierte, an den Rollstuhl gefesselten Gemeindemitgliedern seine heilende Hände auflegte und mit seiner Frau Bonnie – einer sehr blonden, eher plumpen Frau – und den beiden gemeinsamen Töchtern Heather und Katie vor der Kamera posierte. Darunter stand: » Familie ist alles! « Es gab auch einen kurzen biografischen Abriss zu Coursen, in dem stand, dass er in den Ebenen von Saskatchewan aufgewachsen sei, das Liberty Bible College in Virginia besucht habe und dann nach Kanada zurückgekehrt sei, um sein Pfarramt anzutreten. Nach kurzen Stationen bei den Pfingstgemeinden von Dundas und Toronto, »wurde er dazu auserwählt, eine neue Gemeinde in Townsend, Alberta, zu gründen. Zunächst nur zehn Personen umfassend, wuchs die Gemeinde durch Larry Coursens dynamische, inspirierende Leitung schnell auf das Zwanzigfache an und übte einen großen spirituellen Einfluss auf diesen westlichen Winkel Kanadas aus.«
Von Toronto nach Townsend. Die Obersten in der Kirchenhierarchie mussten beschlossen haben, ihn auf die Weide hinauszuschicken. Oder vielleicht fanden sie ihn auch ein bisschen zu ehrgeizig und zu jung und dachten, eine Gemeinde im Niemandsland würde ihn ein bisschen mehr Demut lehren.
Ich druckte alle Einträge über Coursen aus und verbrachte die nächsten zwei Stunden damit, alles zu googeln, was sonst noch mit dem Fall Ivy MacIntyre in Verbindung stand, um etwaige Wissenslücken zu schließen. Meine nächtlichen Recherchen förderten nicht viel Neues zutage – außer den Details über Coursen und die Entdeckung, dass die Frau aus Regina, die George MacIntyre des sexuellen Missbrauchs beschuldigt hatte,
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