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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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kommen, Jane«, sagte sie. »Ich wollte Sie ohnehin rufen lassen, sobald Sie hier eintreffen.«
    »Was ist passiert?«, fragte ich.
    »Sie fragen mich doch nicht im Ernst, was passiert ist? Stehen Sie dermaßen neben sich, dass Ihnen nicht klar war, was Sie mit dieser ellenlangen und ziemlich wirren Mail an Charlotte Plainfield …«
    Idiotisch, idiotisch!
    »Wenn ich das bitte erklären dürfte …«, hob ich an.
    Sie hob die Hand.
    »Das wird nicht nötig sein – unsere Entscheidung steht bereits fest.«
    »Aber bevor Sie mich entlassen, werde ich mich doch wenigstens verteidigen dürfen …«
    »Wir entlassen Sie nicht, Jane. Wir schreiben Sie für drei Monate krank, und zwar bei vollem Gehalt. Wenn Sie bereit sind, in dieser Zeit einen Psychiater aufzusuchen und eine Therapie zu machen, sind Sie uns anschließend wieder herzlich willkommen.«
    »Und wenn nicht?«
    »Bitte tun Sie das nicht, Jane. Wir alle schätzen Sie hier sehr. Wir wissen, was Sie durchgemacht haben, womit Sie immer noch Tag für Tag fertig werden müssen. Es gibt Leute, die sich hier schwer für Sie ins Zeug legen. Bitte vergessen Sie das nicht.«
    Dann griff sie zum Telefon auf ihrem Schreibtisch.
    »Jetzt muss ich eine Formalität erledigen – nämlich Sergeant Clark mitteilen, dass Sie hier sind. Als Charlotte Plainfield ihn wegen Ihrer Mail anrief, hat sie sich nicht über Sie beschwert, sondern einige der von Ihnen aufgelisteten Punkte angesprochen. Da hat er um eine Kopie des Schreibens gebeten, mehr nicht.«
    »Das ist nicht fair«, sagte ich. »Ich habe einer bekannten Journalistin einfach nur meine Sicht des Falles geschildert …«
    »Und zwar nachdem Sie sich fälschlicherweise als Journalistin ausgegeben und die Polizeiarbeit behindert haben. Kommen Sie, Jane! Sergeant Clark hat Sie gewarnt und Ihnen gesagt, dass Sie sich da raushalten sollen. Und ich habe Ihnen genau dasselbe gesagt. Wir alle waren nicht nur fair, sondern haben auch ein Auge zugedrückt, um Sie vor Schwierigkeiten zu bewahren. Sie werden nicht gekündigt. Und Sergeant Clark hat mir versprochen, Ihnen nichts zur Last zu legen.«
    »Warum will er mich dann sehen?«
    »Das wird er Ihnen selbst sagen.«
    Sie wählte eine Nummer, drehte sich anschließend um und sprach leise ins Telefon. Nach etwa einer Minute legte sie auf.
    »Er sagt, er könne jemanden vorbeischicken, der Sie abholt. Aber da das Revier gleich bei uns in der Nähe ist, gehen Sie bestimmt lieber zu Fuß hin.«
    Wie kanadisch!
    »Da setzt er ja großes Vertrauen in mich.«
    »Ich glaube nicht, dass er Sie für ein Sicherheitsrisiko hält, Jane.«
    Nur für eine Gestörte.
    »Er wird Ihnen das mit dem Psychiater und der Therapie erklären, die Sie unserer Meinung nach machen sollten. Bitte hören Sie ihm zu, und folgen Sie seinen Empfehlungen. Und bitte vergessen Sie nicht, dass Sie mich jederzeit anrufen können, wenn Sie mit jemandem reden möchten. Ruth Fowler lässt Ihnen ausrichten, dass sie Sie gern sehen würde, sobald Sie das möchten.«
    »Richten Sie ihr meinen Dank aus«, sagte ich mit schwacher Stimme. Plötzlich war ich unheimlich müde und wusste nicht, wie ich noch mehr von diesen übertriebenen Höflichkeiten ertragen sollte.
    »Würden Sie mir bitte einen Gefallen tun?«, sagte ich.
    »Natürlich.«
    »Bitte entschuldigen Sie sich in meinem Namen bei Vern. Er weiß schon, wofür.«
    Geraldine Woods sah mich neugierig an, spürte aber, dass es besser war, dieses Thema nicht weiter zu vertiefen.
    »Natürlich«, sagte sie.
    In diesem Moment klingelte das Telefon. Mrs Woods ging dran.
    »Geraldine Woods … Oh, hallo, Sergeant … Ja, ja, natürlich sage ich es ihr … Was Ernstes?«
    Sie wurde kreidebleich.
    »O Gott, das ist ja furchtbar … Wann ist das passiert? … Verstehe … Klar, natürlich … Überlassen Sie das ruhig mir … Ich bin … Nun, ehrlich gesagt, fehlen mir die Worte, Sergeant.«
    Sie legte auf. Eine geschlagene Minute mied sie meinen Blick und versuchte, das soeben Gehörte zu verarbeiten. Schließlich sagte sie: »Das war Sergeant Clark. Er muss den Termin mit Ihnen absagen. Es ist etwas vorgefallen.«
    »Etwas Schlimmes?«, fragte ich.
    »Etwas sehr Schlimmes. George MacIntyre hat sich heute Morgen in seiner Zelle erhängt.«

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    Bis zum Abend hatte sich die Sache überall herumgesprochen. Sie war das Thema in sämtlichen kanadischen Nachrichtensendungen. Sie war der Aufmacher der Abendausgabe der Lokalzeitung, der Calgary Sun :»MacIntyre hat sich erhängt«

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