Aus der Welt
entgegen.
»Ich habe nicht vor, Sie hier länger festzuhalten, vorausgesetzt, wir können die Angelegenheit rasch klären … Das wiederum hängt von Ihren Antworten ab.«
»Ich werde Ihnen helfen, so gut ich kann, Sir.«
Er musterte mich, wohl um abzuschätzen, ob ich die Wahrheit sagte. Dann nickte er zustimmend. Schon auf der Fahrt zum Hauptquartier der Federal Police – denn dort waren wir, wie ich inzwischen wusste – hatte ich beschlossen, der Polizei die Wahrheit zu sagen. Ich würde ihnen ohne Umschweife alles erzählen, ohne irgendwelche Ausreden vorzuschieben. Ich würde ihnen die annähernde Wahrheit sagen – was heißt in meiner Situation schon Wahrheit? Ich nippte an meinem Kaffee, staunte immer noch, dass er mir von einem Polizisten angeboten worden war, und dachte: Seine Heiligkeit hat sich beschwert, und sie mussten der Sache nachgehen. Wenn ich ihnen sage, was sie wissen wollen – denn mehr ist es ja laut dem Sergeant nicht –, sind sie vielleicht in ein, zwei Stunden mit mir fertig.
Er bat mich, meinen vollständigen Namen, meine Adresse, mein Geburtsdatum, meinen Geburtsort zu bestätigen.
»Sie sind also Amerikanerin?«, fragte er. Ich erklärte ihm das mit dem kanadischen Pass und gab an, seit wann ich hier lebte. Ich hatte den Verdacht, dass er das alles längst wusste, aber sehen wollte, wie ich auf seine Fragen reagierte.
»Das ist kein offizielles Verhör«, sagte er. »Sie sind nicht verhaftet. Aber wir müssen wissen, warum Sie sich als Zeitungsreporterin ausgegeben haben, um Kontakt zu Personen aufzunehmen, die in den MacIntyre-Fall verwickelt sind.«
»Weil ich ganz besessen davon bin.«
»Und warum sind Sie ganz besessen davon?«
»Weil ich im Januar letzten Jahres mein Kind verloren habe.«
Ich sagte das vollkommen sachlich und gefühlsneutral. Sergeant Clark sah in eine Mappe, die aufgeschlagen auf dem Tisch lag. Ich warf einen Blick hinein und sah, dass Zeitungsausschnitte über Emilys Tod obenauf lagen. Auch er hatte gegoogelt, um mehr über mich herauszufinden.
»Nach dem Tod Ihrer Tochter – haben Sie da einen Nervenzusammenbruch erlitten?«
»Das steht bestimmt alles schon in dieser Akte«, erwiderte ich.
Er sagte nichts darauf, sah nur wieder auf seine Unterlagen. Hatte er mich bereits überprüft und herausgefunden, dass mein Unfall in den Staaten polizeilich aktenkundig war? Bestimmt, mit Sicherheit.
»Soweit ich weiß, haben Sie einen Doktortitel aus Harvard und eine Führungsposition in der Central Public Library hier in Calgary. Ich habe erst vor wenigen Minuten mit Ihrer Chefin, Mrs Woods, gesprochen.«
»Haben Sie ihr gesagt, warum ich von der Polizei festgehalten werde?«
»Ja, obwohl ich Sie nochmals darauf hinweisen möchte, dass wir Sie nicht festhalten.«
Damit dürfte ich meinen Job los sein.
»Ich habe Mrs Woods erklärt, dass Sie kein Verbrechen begangen haben – es kann aber eines werden, wenn sich die Sache wiederholt.«
»Das wird nicht passieren.«
»Das freut mich zu hören. Genauer gesagt, könnte der Staatsanwalt – wenn wir ihn verständigen – Sie wegen betrügerischen Auftretens, Irreführung der Behörden und Behinderung der Ermittlungen anklagen. Wegen Ihnen haben wir mindestens einen halben Arbeitstag verschwendet – Zeit, die wir lieber darauf verwendet hätten, denjenigen zu fassen, der für Ivy MacIntyres Verschwinden verantwortlich ist.«
Ich senkte beschämt den Kopf.
»Aber mir ist auch klar, dass hier mildernde Umstände vorliegen. Sie sollten wissen, dass Mrs Woods Sie vehement verteidigt hat. Sie hat auch gesagt, dass Sie relativ gut mit der psychischen Belastung fertig werden, die der Verlust eines Kindes selbstverständlich nach sich zieht. Trotzdem haben Sie Reverend Coursen unter falschen Voraussetzungen ›interviewt‹ – und die Vancouver Sun ist alles andere als begeistert, dass sie unrechtmäßigerweise von Ihnen vertreten wurde. Deshalb muss ich Sie zuerst eines fragen, Miss Howard: Was haben Sie sich eigentlich von Ihren ›Interviews‹ mit Reverend Coursen, Dwane Poole und all den anderen erhofft?«
»Keine Ahnung«, sagte ich. »Vielleicht dachte ich, ich könnte den Fall lösen …«
»Und Ihre Tochter damit wieder lebendig machen?«
»Der Gedanke ist mir nie gekommen. Ich hab mich einfach etwas zu sehr auf die Umstände versteift, unter denen Ivy verschwunden ist – und mich gefragt, ob es da vielleicht noch eine andere Sichtweise gibt. Inzwischen ist auch mir klar, dass es eine
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