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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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zurück zum Wagen, spürte aber keinerlei Erleichterung oder Trost. Dass ich mich persönlich davon überzeugt hatte, dass es ein Unfall war, machte den Verlust auch nicht erträglicher. Ich dachte nur: Was machst du hier? Gut, du konntest bestätigen, was du bestätigt haben wolltest. Und jetzt?
    Jetzt … gar nichts. Jetzt konnte ich nur wieder nach Boston zurückfahren. Und dann …?
    Aber bevor ich zurückfuhr, beschloss ich, mir sein Haus anzusehen. Ich war auf dem Weg nach Popham daran vorbeigekommen und hatte es sofort erkannt.
    Nachdem ich es erreicht hatte, blieb ich am Anfang der Auffahrt stehen, stieg aus und sah den gewundenen Pfad entlang, um sicherzustellen, dass dort niemand parkte. Dann fuhr ich das letzte Stück zu seinem Haus. Es sah genauso aus, wie er es beschrieben hatte – ein kleines, schachtelartiges Gebäude, das etwas erhöht lag und direkten Meerblick bot. Ich lief darum herum und blieb stehen, als ich das Zimmer sah, das eindeutig Davids Arbeitszimmer war: ein kleiner, schmuckloser Raum mit einem Schreibtisch, einem Regal und mehreren Remington-Schreibmaschinen (er weigerte sich, alles, was nichts mit der Uni zu tun hatte, auf einem Computer zu schreiben). Der Schreibtisch stand an der Wand, genau wie in seinem Büro in Harvard – »sonst sehe ich nur aus dem Fenster und lasse mich ablenken«. Ich merkte, dass ich anfing zu zittern. Aber ich zwang mich, wieder in den Wagen zu steigen und zurück zur Hauptstraße zu fahren. Ich hielt vor einem kleinen Gemischtwarenladen genau gegenüber von Davids Haus, um eine Flasche Wasser zu kaufen.
    Zumindest redete ich mir das ein. Ich hatte den Laden kaum betreten, als mich die ältere, zugeknöpft wirkende Frau hinter der Theke auch schon misstrauisch von oben bis unten musterte – so wie sie es in der Nebensaison wahrscheinlich bei jedem Nicht-Einheimischen tat.
    »Hallo«, sagte sie tonlos. »Kann ich helfen?«
    Ich verlangte ein Mineralwasser und eine Lokalzeitung.
    Während ich beides bezahlte, sagte ich: »Ich war gerade am Popham Beach spazieren und hab das Absperrband der Polizei gesehen. Ist irgendwas passiert?«
    »Ein Typ ist mit seinem Fahrrad in einen Laster gefahren«, sagte sie und gab mir das Wechselgeld heraus.
    »Ein Unfall?«
    »Wenn jemand sein Rad direkt vor einen Laster lenkt, ist das kein Unfall.«
    »Kannten Sie den Mann?«
    »Klar. Ein Professor aus Boston, er wohnte gleich gegenüber. Ein sympathischer Kerl. Nie hätte ich gedacht …«
    »Aber woher will man mit Sicherheit wissen, dass …«
    Sie warf mir einen langen, kühlen Blick zu.
    »Sie sind doch nicht etwa von der Presse?«, fragte sie.
    »Nein, nur neugierig«, sagte ich nervös.
    »Kannten Sie den Professor?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Kennen Sie Gus?«
    »Wer ist Gus?«
    »Gus ist mein Cousin zweiten Grades – der Typ, der den Laster fuhr. Der Mann ist am Boden zerstört. Er fährt den Fischlaster jetzt schon seit über zwanzig Jahren und hat nie irgendwas, geschweige denn irgendwen angefahren. Der arme Kerl steht völlig unter Schock und traut sich gar nicht mehr hinters Steuer. Er hat gesehen, wie ihm der Professor entgegenkam. Und er sagt, als er fast schon neben ihm war, machte der Professor einen Schlenker, direkt auf seine Fahrbahn. Mit voller Absicht, so als wollte er überfahren werden.«
    »Aber vielleicht ist er mit dem Fahrrad in ein Schlagloch geraten und …«
    »Wenn Gus sagt, dass er in ihn reingefahren ist, dann ist er in ihn reingefahren. Gus ist ein bisschen langsam im Kopf, aber ein Lügner ist er nicht.«
    Ich ging. Ich stieg in den Wagen, fuhr los und nahm die Autobahn. Irgendwo südlich von Portland musste ich auf dem Seitenstreifen halten, so heftig schluchzte ich.
    Wenn Gus sagt, dass er in ihn reingefahren ist, dann ist er in ihn reingefahren.
    Ich wollte an meine eigene Version glauben, die ich mir nach der Besichtigung des Unfallorts zurechtgelegt hatte. Aber jetzt hatte ich eine gegenteilige Information bekommen – vom einzigen Unfallzeugen, der es wirklich wissen musste.
    Vielleicht schluchzte ich deswegen so heftig – nicht, weil mir endlich mit aller Brutalität klar wurde, dass ich David tatsächlich verloren hatte, sondern weil seine Todesumstände so unklar waren.
    Als ich an jenem Abend in meine Wohnung in Cambridge zurückkehrte, fand ich eine schlichte weiße Postkarte in meinem Briefkasten. Auf der einen Seite stand in Davids krakeliger Handschrift meine Adresse, die Briefmarke war in Bath, Maine, abgestempelt. Auf

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