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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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und trotzdem schlicht. Mir blieben sogar noch 200 Dollar für Unterwäsche übrig. Trish benahm sich zwar wie ein Hafenarbeiter, hatte aber viel modisches Gespür und wusste, wie man einkauft – eine Aktivität, die mich nicht sonderlich interessierte, wie sie richtig erkannte.
    »Brad hat deine Bewerbung rumgehen lassen, wie bei allen, die er einstellen will«, sagte sie, nachdem sie mich in die Bar des Four Seasons geschleppt und Martinis bestellt hatte – sie selbst nahm gleich zwei und kippte den ersten mehr oder weniger auf einen Zug hinunter. »Dich haben wir ziemlich schnell durchschaut: ein kluges Mädchen aus einfachen Verhältnissen. Dein Vater muss wirklich ein ziemlich widerlicher Typ sein.«
    »Wie kommst du darauf?«, fragte ich.
    »Jetzt sei doch nicht so empfindlich! Eine simple Schlussfolgerung, sonst nichts. Daddy arbeitet in der Kupferbranche und hat dich und deine Mutter verlassen, um mit einem Haufen südamerikanischer bimbas ein neues Leben zu beginnen. Stimmt’s oder hab ich recht?«
    »Es gab nur zwei …«
    »Soweit du informiert bist. In Liebesdingen sind Männer ein Rätsel – sogar die guten. Aber das dürftest du inzwischen mitbekommen haben.«
    Ich sah sie forschend an.
    »Was willst du damit sagen?«, fragte ich.
    »Ach, komm schon, du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ein Kontrollfreak wie Brad nicht ein wenig in deiner Vergangenheit gegraben und das mit dir und dem Professor rausgefunden hat?«
    Ich sah sie entsetzt an.
    »Bei der Bewerbung ging ich nicht davon aus, dass mein Privatleben überprüft wird.«
    »In unserer Firma gibt es genau drei Leute, die das Prüfungskomitee bilden. Sie achten darauf, dass der Bewerber zur Firmenkultur von Freedom Mutual passt. Weißt du, was uns an dir ganz besonders gefallen hat – außer dass du in Harvard promoviert, dich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen hast und nicht arrogant bist?«
    »Nein, aber du wirst es mir bestimmt gleich sagen.«
    »Dass du vier Jahre lang was mit deinem Doktorvater hattest, ohne irgendwem etwas davon zu sagen.«
    »Woher weißt du das?«
    »Glaubst du wirklich, ich gebe dir unsere Quellen preis? Ich bitte dich! Aber ganz unter uns: Brad war schwer davon beeindruckt, dass du dir nach seinem Tod nicht in die Karten hast sehen lassen und Würde bewahrt hast. Eine scheußliche Sache übrigens. Da hast du mir wirklich leidgetan … zumal ja die Todesumstände nie geklärt wurden.«
    »Ich gehe jetzt«, hörte ich mich sagen.
    »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
    »Allerdings. Außerdem finde ich es widerlich, dass ihr in meiner Vergangenheit rumgewühlt habt.«
    »Bei uns im Büro wissen wir über jeden Bescheid«, sagte sie. »Ich weiß zum Beispiel, dass Brad seine Frau mit einer Rentenhändlerin namens Samantha betrügt, die launisch ist und ihm beim Sex oft den Rücken zerkratzt, woraufhin er dann zu Hause bei seiner Frau ein paar Tage im T-Shirt schlafen muss. Jedem ist klar, dass Brad die Affäre beenden sollte, aber der Typ schreit förmlich nach Ärger. Umgekehrt weiß Brad, dass ich seit zwei Jahren ein Verhältnis mit einer Polizistin namens Pauline habe.«
    »Verstehe«, sagte ich und bemühte mich, mein Erstaunen zu verbergen.
    »Ja, genau, nur immer schön gefasst bleiben und sich den Schock darüber, dass ich lesbisch bin, nicht anmerken lassen.«
    »Das geht mich wirklich nichts an.«
    »Wenn du bei Freedom Mutual arbeitest, schon. Brad besteht auf absoluter Transparenz. Keine Geheimnisse, keine Altlasten. Alles wird offen zur Sprache gebracht. Also los, stell mir Fragen. Egal, was. Du fragst, ich antworte.«
    »Lieber nicht.«
    »Entspann dich!«
    »Na gut. Warum redest du so laut?«
    »Gute Frage. Die Antwort lautet: Weil ich eine Mutter hatte, die jeden angeschrien und ständig gejammert hat, wie ungerecht das Leben ist. Von ihr stammt der Satz: ›Wenn man wirklich enttäuscht werden will, muss man bloß Kinder kriegen.‹«
    »Charmant.«
    »O ja, das war sie.«
    »Ist sie tot?«
    »Sie sind alle tot. Mein Dad, meine Mom, mein Bruder Phil …«
    »Wie alt war er, als er starb?«
    »Neunzehn.«
    »War er krank?«
    »Es war Selbstmord, so gesehen war er krank, ja.«
    »Warum?«
    »Warum er sich am Weihnachtsabend 1979 in seinem Zimmer erhängt hat?«
    »Ach du meine Güte!«
    »Kannst du auch normal reden und ›verdammte Scheiße‹ sagen?«
    »Das ist einfach schrecklich.«
    »Verdammt schrecklich. Mein Bruder hatte gerade sein zweites Jahr an der University of Pennsylvania hinter sich.

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