Aus der Welt
sich meinem Griff zu entwinden – und gab prompt einen Schwall von Flüchen von sich, als ich ihren Arm höherriss – dorthin, wo es wirklich wehtat. Danach hielt sie den Mund und sagte nichts mehr, bis wir im Taxi saßen.
»Gib dem Mann deine Adresse«, befahl ich.
Sie gehorchte, und das Taxi fuhr los. Trish sank auf dem Rücksitz zusammen und begann plötzlich zu weinen. Aber das war kein selbstmitleidiges Wimmern unter Alkoholeinfluss, sondern ein ohrenbetäubendes, fast schon tierisches, schmerzerfülltes Wehklagen. Der Fahrer – ein Sikh – sah ständig mit weit aufgerissenen Augen in den Rückspiegel. Auch er war ganz verstört von der verzweifelten Trauer, die tief aus ihrem Innern drang. Als ich vorsichtig den Arm ausstreckte, um sie zu trösten, schlug sie ihn weg. Also saß ich nur da und sah hilflos zu, wie diese Frau einen Nervenzusammenbruch erlitt.
Trish wohnte unweit der South Station in einem Viertel, das für Betuchte luxussaniert worden war. Das Taxi hielt vor einem renovierten Lagerhaus. Als sie die Eingangstür sah, riss sie sich kurz zusammen.
»Soll ich mit hochkommen?«, fragte ich.
»Fick dich!«, erwiderte sie, riss die Tür auf und betrat schwankend das Haus.
Im Taxi breitete sich ein schockiertes Schweigen aus – sowohl der Fahrer als auch ich versuchten zu begreifen, was sich da in den letzten zehn Minuten abgespielt hatte.
»Meinen Sie, sie kommt zurecht?«, fragte er.
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, sagte ich und nannte ihm meine Adresse in Somerville.
Als ich am nächsten Morgen wach wurde, war ich fest davon überzeugt, meine Sachen packen zu müssen, sobald ich die Büros von Freedom Mutual betreten hätte. Trish würde mich sicherlich feuern, um den gestrigen Vorfall zu verheimlichen.
Und noch etwas fiel mir ein: Ich hatte sämtliche Einkaufstüten im Four Seasons stehen lassen. Bestimmt hatte sie der Hotelmanager verschwinden lassen, aus Rache, dass wir uns an der Bar dermaßen aufgeführt hatten.
Aber als ich an jenem Morgen ins Büro kam, stapelten sich schon sämtliche Einkaufstüten hinter dem Empfang. Ich griff danach, betrat den Händlerraum – in dem Trish und acht Kollegen in ihre Telefone schrien – und ließ sie auf meinen Schreibtisch fallen. Ich entdeckte einen Umschlag, auf dem mein Name stand. Ich machte ihn auf und fand zwei Hundertdollarnoten sowie die Nachricht:
Als Wiedergutmachung. Trish
Ich steckte das Geld in einen neuen Umschlag, nahm ein Blatt Papier und schrieb:
Der Abend geht auf mich! Jane
Dann ging ich zu Trishs Schreibtisch und legte ihr den Umschlag hin. Sie nahm mich nicht einmal wahr. Ich kehrte an meinen Tisch zurück, nahm mehrere Tüten mit und verschwand für einige Minuten auf der Damentoilette, wo ich mich umzog. Als ich mich umdrehte, betrachtete ich mich erstaunt im Spiegel: Da zieht man ein klassisches, perfekt geschnittenes schwarzes Kostüm, eine schlichte schwarze Seidenbluse und elegante Schuhe an und sieht plötzlich richtig erwachsen aus! Da ich mich in der Vergangenheit kaum chic gemacht hatte, überraschte mich diese Verwandlung. Kleider machen Leute, spiegeln die Persönlichkeit ihres Trägers wider, seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht, seine Ziele und das von ihm gewünschte Image. Vielleicht hatte Trish recht: Ich hatte mich immer als ewige Studentin in dicken Stiefeln und ausgeleierten Pullis gesehen. Aber jetzt, wo ich dieses Kostüm trug, sah ich nach Macht und Geld aus. Zu meinem großen Erstaunen gefiel mir, was ich sah – obwohl ich wusste, dass ich weder die Macht noch das Geld besaß, für die dieses Kostüm stand.
Ich kehrte an meinen Schreibtisch am Ende des Händlerraums zurück. Eine Stunde verging, in der ich einfach nur herumsaß und mich fragte, was wohl als Nächstes passieren würde. Als die zweite Stunde anbrach und ich immer noch ignoriert wurde, stand ich auf und ging quer durch den Raum zu Trish und ihrem Computer hinüber. Sie schrie jemanden durch ihr Headset an. Nachdem sie das Telefonat mit einem »Sie können mich mal« beendet hatte – was für Trishs Verhältnisse schon beinahe eine zärtliche Verabschiedung war –, sah sie mich mit unverhohlener Verachtung an.
»Was willst du?«, fragte sie.
»Ich würde gern anfangen, zu arbeiten.«
»Das ist das Intelligenteste, was ich heute von dir gehört habe.«
Ich hätte sie darauf hinweisen können, dass es das Erste war, das ich heute zu ihr sagte, wollte aber nicht pingelig sein. Sie zeigte auf den leeren
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