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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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Meine Familie war sehr stolz auf ihn, den Erstgeborenen – den Sohn . Darauf, dass er an einer Elite-Uni-Medizin studierte. Aber was meine Eltern nicht wussten, war, dass er nach einem sehr guten ersten Jahr mit lauter Bestnoten eine Art Zusammenbruch hatte und schließlich mit einer Vier in Biochemie abschloss. Eine Vier in Biochemie ist für jeden Medizinstudenten eine große Enttäuschung. Und Mom bekam sein Zeugnis am 23. Dezember. Weil sie nichts Besseres zu tun hatte, machte sie ihm eine Riesenszene: Dass er eine einzige Enttäuschung für sie sei. Dass sie alles für ihn aufgegeben hätte, und jetzt das! Meine Mom hat alles und jeden kaputt gemacht, der mit ihr in Berührung kam. Wenn ich jetzt klinge wie ein Psychiater, dann weil ich neun Jahre in Therapie war, nachdem ich meinen Bruder erhängt im Kleiderschrank fand.«
    »Du hast ihn gefunden?«
    »Das sagte ich bereits.«
    Sie schwieg und kippte den zweiten Martini. Dann hob sie die Hand, um einen dritten zu ordern.
    »Für mich bitte keinen«, sagte ich, als sie gleich zwei bestellen wollte.
    »Du trinkst noch einen, ob du willst oder nicht. Denn wenn ich etwas weiß, dann dass sich jeder ab und zu betrinken muss – sogar du, Miss Etepetete.«
    »Deine Eltern müssen am Boden zerstört gewesen sein.«
    »Dad starb ein halbes Jahr nach Phil. Kehlkopfkrebs – die Quittung für vierzig Jahre Kettenrauchen. Er war erst sechsundfünfzig, und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Metastasen in dem Jahr kamen, in dem Phil Selbstmord beging.«
    Trish erzählte, dass sie danach nichts mehr mit ihrer Mutter zu tun haben wollte und auszog. Als ein Onkel und ein Cousin zweiten Grades bei ihr auftauchten, um sie umzustimmen, weigerte sie sich, sie zu empfangen.
    »Ständig musste ich mir am Telefon anhören: ›Wenn sie plötzlich stirbt, wirst du dir furchtbare Vorwürfe machen‹, worauf ich nur sagen konnte: ›Nein, ich werde nicht die Spur eines schlechten Gewissens haben‹.«
    »Und als es dann wirklich passiert ist …?«, fragte ich.
    »Das war ungefähr drei Jahre nachdem mein Vater starb. Mom fuhr zur Mall in der Nähe unseres Hauses in Morristown und hatte einen leichten Herzinfarkt. Sie verlor die Kontrolle über den Wagen und geriet auf die Gegenfahrbahn. Da kam dieser verdammte Truck angerast – und spritz! war ich Waise.«
    Sie kippte den Rest ihres Martinis herunter. Wie jeder, der auf den Grund seines dritten Martiniglases schaut, war sie ziemlich betrunken. Mir ging es ähnlich, nur dass ich nicht so schrie wie sie.
    »Willst du wissen, ob ich anschließend ein schlechtes Gewissen hatte?«, fragte sie so laut, als spräche sie durch ein Megafon. »Natürlich hatte ich ein verdammt schlechtes Gewissen. Die Fotze war schließlich meine Mutter, und obwohl sie unausstehlich war und meinen armen verzweifelten Bruder dazu brachte, sich mit einem verdammten Pfadfindergürtel aufzuhängen …«
    In diesem Moment kam ein Typ im Smoking an unseren Tisch, stellte sich als Hotelmanager vor und forderte uns auf, unverzüglich zu zahlen und das Gebäude zu verlassen.
    »Hören Sie, Sie Arschloch, Sie müssen schon jeden verdammten Bullen Bostons hierherholen, um mich rauszuschmeißen«, erwiderte Trish.
    »Bitte zwingen Sie mich nicht, Gewalt anzuwenden«, sagte der Hotelmanager.
    Ich stand auf und legte einen erheblichen Geldbetrag auf den Tisch.
    »Wir gehen«, verkündete ich.
    »Nein, das tun wir nicht, verdammt noch mal«, erwiderte Trish.
    »Ich bring dich nach Hause.«
    »Du bist nicht mein Kindermädchen, du Fotze!«
    »Das reicht«, sagte der Hotelmanager und eilte davon.
    Trish ließ sich noch tiefer in ihren Sessel sinken und grinste triumphierend.
    »Siehst du, ich habe gewonnen.«
    »Wenn er die Polizei ruft, wird man dich verhaften. Und wenn man dich verhaftet …«
    »Unterwegs zum Revier schenk ich dem Bullen einen Hummer – dann wird er mich dankbar laufen lassen.«
    Ich spürte, dass mittlerweile aller Augen auf uns gerichtet waren. Und auch, dass ich schleunigst etwas unternehmen musste. Also zog ich Trish am Ärmel ihres Jacketts hoch. Bevor sie richtig protestieren konnte, hatte ich ihren linken Arm auf den Rücken gedreht.
    »Wenn du noch ein Wort sagst«, zischte ich ihr ins Ohr, »brech ich dir deinen verdammten Arm!«
    Ich lenkte sie aus der Bar und bugsierte sie in eines der Taxis vor dem Four Seasons Hotel, während mir der Hotelmanager mit einem knappen Nicken dankte, nicht die Polizei rufen zu müssen. Einmal versuchte Trish,

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