Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
Vom Netzwerk:
darin, solchen Mist schon kilometerweit gegen den Wind zu wittern. Wenn du ihn erst aus der Nähe witterst, bist du im Arsch – denn dann hängst du schon viel zu tief mit drin. Entweder du hast viel Energie oder aber wertvolle Zeit verloren, weil du auf eine Lüge reingefallen bist. In diesem Geschäft ist jeder ein Lügner. Wenn du es hier schaffen willst, musst du lernen, zu lügen. Du musst lernen, dich in verschiedene Persönlichkeiten aufzuspalten, zu verheimlichen, was du wirklich denkst. Du musst lernen, zu bluffen. Und was das Wichtigste ist: Du gibst den Leuten ordentlich Saures, wenn sie bluffen! Ich erzähl dir was von meinem persönlichen Verhältnis zu Jesus Christus, und du sagst nur: ›Wie nett.‹ Tickst du noch richtig? Wenn du in meiner Gegenwart noch mal solchen Mist verzapfst, kannst du gleich deine Sachen packen, verstanden? Fehler können wir hier durchaus tolerieren – glaub mir, davon wirst du viele machen. Aber keine Naivität. Bambi eignet sich einfach nicht als Hedgefondsmanager. Und auch nicht der große böse Wolf, denn der wurde von drei kleinen Schweinchen reingelegt. Was wir hier brauchen, sind toughe Realisten. Lies Hobbes, lies Machiavelli; und verhalte dich dementsprechend!«
    Trish zugeordnet zu sein war so ähnlich, wie in einem Marines-Ausbildungslager dem Drill eines besonders fiesen Sergeants ausgeliefert zu sein, der an Charakterbildung durch Erniedrigung glaubt. Trish war wie alle Manager an den Schreibtisch gefesselt. Auf ihrem Computerbildschirm wimmelte es nur so von Zahlen. CNBC und Bloomberg waren die beiden Sender, die ununterbrochen auf den beiden Flachbildfernsehern liefen. Sie trug ein Headset und arbeitete ausschließlich mit Shortcuts, und zwar mit halsbrecherischer Geschwindigkeit (sie konnte alle auswendig). Und sie schrie. Sie schrie andere Kollegen an. Sie schrie die Leute am anderen Ende der Leitung an. Sie schrie mich an, sobald ich einen Fehler machte oder einen ihrer Witze nicht begriff. Aber am häufigsten schrie sie sich selbst an.
    »Du bescheuerte, verfickte, dämliche Fotze, du!«
    So lautete eine typische Trish-Selbsthass-Tirade – die sie über sich selbst ergoss, wenn ihr eine Verkaufsgelegenheit entging, wenn sie um eine halbe Minute einen Deal verpasste, wenn sie ein Viertel von einem Prozent verlor, wenn sie es nicht geschafft hatte, die Entwicklung einer bestimmten Währung vorherzusehen, wenn sie nicht wusste, dass ein Pharma-Riese kurz davorstand, ein neues heißes Anti-Depres sivum auf den Markt zu bringen, das sich nicht negativ auf die Libido auswirkt, wenn sie die neuesten Statistiken deutscher Autobauer, die Inflation Spaniens, den Stand der norwegischen Krone nicht kannte oder nicht mit den geheimsten Gedanken des amerikanischen Notenbankchefs vertraut war.
    »Doof, doofer, am doofsten! Schaut euch nur diese Witzfigur an! Eine Frau mit einem Doktortitel aus Harvard versteht nicht mal ein simples Handelsgefälle! Soll sie doch zukünftigen Provinz-Hausfrauen lieber Jane Austen verklickern!«
    Diesmal war ich daran gescheitert, innerhalb von genau zehn Sekunden auszurechnen, wie viel 20 Prozent von 2,34 Dollar sind.
    »Du dämliche Ziege, du Versagerin«, schrie sie mich an. »Sechsundvierzig Komma acht Cent. Du weißt doch hoffentlich, wie man das im Kopf rechnet?«
    »Die Summe verdoppeln und das Komma um eine Stelle nach links schieben?«
    »Die Schlampe hat Talent, Ladys und Gentlemen! Zu dumm, dass sie noch nicht weiß, wie man was draus macht.«
    Niemand war so derb wie Trish. Es gab nur zwölf Manager, von denen drei – Cheryl, Suzy und Trish – die Angewohnheit hatten, zu schreien. Die Männer schrien auch, aber nie so giftig wie die Frauen. Ted Franklin hatte immer einen Halter mit Bleistiften auf seinem Schreibtisch stehen, von denen er sechs am Tag komplett zerkaute. Wenn er einen Optionskauf irgendeines Schweizer Lebensmittelkonzerns verpatzte, der gerade Nestlé beim Unicef-Zuschlag von Milchpulver aus dem Feld geschlagen hatte, biss er den Bleistift tatsächlich entzwei. Anatoli Navransky – Tony der Russe, wie er im Händlerraum hieß – war ebenfalls süchtig nach Holz im Mund: Er stand auf Zahnstocher mit Minzgeschmack, die er schachtelweise kaufte. Es war wirklich unglaublich, wie er es schaffte, seine Zähne zu reinigen, während er Multimillionen-Deals abwickelte, wobei er den Zahnstocher so tief ins Zahnfleisch schob, dass es blutete, und er gezwungen war, in den Becher auf seinem Schreibtisch zu spucken. Tony

Weitere Kostenlose Bücher