Aus der Welt
nächsten Morgen um zehn dort ein. Dwight Hale war Ende dreißig, etwas pummelig und machte einen auf »Zeit ist Geld«.
»Freedom Mutual möchte Ihnen 300 000 Dollar im Rahmen eines Abfindungsvertrags anbieten«, sagte er.
Es dauerte ein, zwei Minuten, bis ich diese Information verdaut hatte.
»Ich verstehe«, sagte ich schließlich.
»Ist das annehmbar?«
»Natürlich.«
»Es gibt da allerdings eine kleine Bedingung – Sie müssen ein Geheimhaltungsabkommen unterschreiben. In dem steht, dass Sie mit niemandem über Ihre Zeit bei Freedom Mutual sprechen werden.«
Falls das FBI und die Börsenaufsicht die Nase in ihre Bücher stecken und beschließen, sämtliche ehemaligen und derzeitigen Angestellten zu vernehmen, meinen Sie?
»Ich weiß kaum, wie die Firma funktioniert.«
»Das glaube ich Ihnen gerne. Es ist nur eine Formalität.«
So ähnlich wie der Omertà -Schwur, aber immerhin einer, der 300 000 Dollar wert war.
»Ich muss das Dokument erst von meinem eigenen Anwalt überprüfen lassen, bevor ich es unterschreibe.«
»Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber wenn wir nicht innerhalb von achtundvierzig Stunden eine Antwort haben, müssen wir das Abfindungsangebot zurücknehmen.«
»Wollen Sie mich unter Druck setzen?«
»Wir wollen die Angelegenheit nur so schnell wie möglich regeln.«
»Klar.«
Ich hatte keinen Anwalt, wusste aber, wie man ein Telefonbuch benutzt. Und als ich eine Stunde später zurück in Somerville war, nahm ich den ersten Namen aus der Rubrik »Anwälte« im Branchenbuch. Der Kerl hieß Milton Alkan. Er ging persönlich ans Telefon und klang wie ein alter chronischer Kettenraucher. Als ich ihm erklärte, was ich brauchte – und zwar möglichst noch heute –, sagte er, sein Honorar betrage 200 Dollar die Stunde – gemessen an Bostoner Verhältnissen geradezu ein Schnäppchen. Wenn ich ihm die Unterlagen in der nächsten Viertelstunde vorbeibrächte …
Milton Alkan war Ende sechzig – winzig, knorrig, mit einer dicken Brille und einem hartnäckigen Husten. Er praktizierte in einem Ladenbüro unweit des Davis Square. Obwohl er klang, als hätte er in den letzten fünfzig Jahren zwei Schachteln Zigaretten am Tag geraucht, war er auf eine onkelhafte Art höflich.
»Sie haben also für Freedom Mutual gearbeitet«, sagte er und überflog die erste Seite des Abfindungsvertrags. »Warum haben Sie dann keine vornehme Kanzlei in Downtown beauftragt?«
»Sie können mir bestimmt auch sagen, was ich wissen muss, und zwar zu einem Viertel der Kosten.«
»Und ob ich das kann, junge Dame. Warum gehen Sie nicht irgendwo eine Tasse Kaffee trinken? In höchstens einer Stunde habe ich das hier für Sie erledigt.«
Mr Alkan hielt Wort. Als ich sechzig Minuten später zurückehrte, schenkte er mir ein schiefes Lächeln und sagte: »Wenn ich gewusst hätte, welche Abfindung Sie bekommen, hätte ich Ihnen das Doppelte berechnet. Aber unterschreiben Sie ruhig. Der Vertrag enthält keinerlei Fallstricke. Die Kerle wollen nur auf Nummer sicher gehen, wie alle Business-Typen. Aber darf ich Sie mal etwas fragen? Warum haben die Sie gehen lassen?«
Es ist schon komisch, wie wir uns manchmal Wildfremden anvertrauen. Aber Mr Alkan wirkte wie ein jüdischer Beichtvater, und die Geschichte sprudelte in wenigen Minuten förmlich aus mir heraus. Er hörte ungerührt zu und schüttelte ein paarmal den Kopf, als ich ihm vom FBI erzählte. Nachdem ich geendet hatte, schwieg er einen Moment und sagte dann: »Unter den gegebenen Umständen sind 300 000 Dollar das absolute Minimum, das man Ihnen zahlen sollte. Was Sie getan haben, als Sie Ihrem Vater Geld gaben, war mitzwah . Und auch wenn er Sie dafür gehasst haben mag, muss er sich deswegen unglaublich schämen. Sie haben etwas Ehrenhaftes getan – und obwohl der Schuss nach hinten losgegangen ist, haben Sie sich trotzdem moralisch einwandfrei verhalten. In meiner Religion ist das sehr wichtig.«
Christy sagte mir genau das Gleiche, als ich an jenem Abend spät in Oregon anrief und sie auf den neuesten Stand brachte.
»Du wurdest von einem Betrüger betrogen – der zufälligerweise auch dein Vater ist. Und das, meine liebe Freundin, ist furchtbar.«
»Es ist nur so, dass ich diesen Betrüger finanziert habe. Und infolge seiner Betrügereien wie eine Idiotin dastand. Aber naiv bleibt naiv.«
»Hör auf, dir Vorwürfe zu machen – obwohl ich weiß, dass du gar nicht anders kannst, als dir Vorwürfe zu machen. Wenn man vom eigenen Vater beschissen
Weitere Kostenlose Bücher