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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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Mann war durch und durch ein Betrüger. Obwohl ich versucht hatte, mir jahrelang etwas anderes weiszumachen, wusste ich jetzt, was ich nie hatte zugeben wollen: nämlich, dass er mich nie geliebt hat und dass ich mich in keiner Weise auf ihn verlassen konnte. Mein Auskommen, mein Wohlergehen haben ihn nie interessiert, da brauchte ich mir nichts vorzumachen. Genauso wenig konnte ich mich an Mom wenden, um die selbstlose Liebe zu bekommen, nach der ich mich immer gesehnt hatte. Meine Güte, sie redete sich immer noch ein, dass Dad eines schönen Tages zu ihr zurückkehren würde! Ebenso würde sie reagieren, wenn ich ihr enthüllte, was mir das FBI und die Börsenaufsichtsbehörde gesagt hatten. Sie würde behaupten, mein Vater sei gar nicht in der Lage, solche Schandtaten zu vollbringen und sie wisse ganz genau, dass er der gute Mensch sei, an den sie immer hatte glauben wollen.
    Impulsiv schlug ich mit der Faust auf die gepolsterte Rückbank und ertappte mich dabei, den in mir aufsteigenden Schrei zu unterdrücken. Auf dem Fahrersitz musterte mich Agent Maduro im Rückspiegel.
    »Alles in Ordnung, Ma’am?«, fragte er.
    »Alles bestens«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
    Als wir vor meinem Apartment hielten, stieg Agent Maduro aus, öffnete mir die Tür und sagte: »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, komme ich mit nach oben.«
    »Kein Problem.«
    Oben fand ich meinen Pass und gab ihn ihm. Maduro bestätigte mir nickend den Empfang und verbrachte einige Minuten damit, Daten in ein Formular zu übertragen. Dann gab er es mir und bat mich, meine Adresse, meine private Telefonnummer und meine Büronummer einzutragen und die vorgedruckte Erklärung zu unterschreiben, dass ich diesen Pass freiwillig aushändigte, einwilligte, ihn dem FBI »auf unbestimmte Zeit« zu überlassen und auf mein Recht verzichtete, ihn zurückzuverlangen, bevor das FBI bereit wäre, ihn mir zurückzugeben. Ich verzog das Gesicht, als ich das las, was auch Agent Maduro nicht entging, und er sagte: »Wenn alles gut geht, bekommt man den Pass in der Regel nach wenigen Wochen zurück. Aber das hängt natürlich ganz davon ab, ob …«
    Er ließ den Satz unvollendet – weil er wusste, dass er ihn nicht beenden musste. Ich nahm den Stift und kritzelte meine Unterschrift hin. Er zog einen Durchschlag heraus und gab ihn mir.
    »Hier ist Ihre Empfangsbestätigung«, sagte er. Dann kehrten wir zum Wagen zurück und sprachen auf der Fahrt nach Boston kein Wort mehr miteinander.
    Als ich das Foyer von Freedom Mutual betrat, fing mich die Empfangsdame mit den Worten ab: »Mr Pullman möchte Sie unverzüglich sprechen.«
    Das kann ich mir denken.
    »Bitte warten Sie hier, bis ich ihn verständigt habe«, sagte sie.
    Sie griff zum Telefon und flüsterte etwas hinein. Dann sah sie zu mir auf und sagte: »Er erwartet Sie in seinem Büro.«
    Ich war noch nie in Brads Büro gewesen. Als ich durch den Flur zu den großen, holzvertäfelten Türen geführt wurde, ahnte ich, dass dies das erste und letzte Mal sein würde, dass ich einen Blick ins Allerheiligste werfen konnte. Ich war merkwürdig ruhig, als meine Absätze über das Parkett klapperten – so ruhig, wie man nur sein kann, wenn man sich stoisch in sein Schicksal ergibt.
    Ich klopfte und hörte, wie Brad rief: »Kommen Sie herein.«
    Ich öffnete die Tür und betrat einen Raum, der so eingerichtet war, dass er an einen Londoner Gentlemen’s Club erinnerte – überall schwere Mahagonimöbel und übertrieben große, verblichene bordeauxrote Sessel, alte Stiche und ein großer Kamin voller Holzscheite sowie ein Globus aus dem 19. Jahrhundert. Brad saß hinter einem Schreibtisch, der so riesig war, dass Admiral Nelson seine Seeschlachten daran hätte planen können. Da ich wusste, dass Brad sich alles kaufen konnte, was er wollte, war es wahrscheinlich sogar Nelsons verdammter Originalschreibtisch.
    Brad starrte auf einen Computermonitor, als ich hereinkam, auf seiner Nase saß eine Brille, mit der er sich noch nie öffentlich gezeigt hatte.
    »Bitte setzen Sie sich«, sagte er, ohne den Blick vom Monitor abzuwenden.
    Ich gehorchte, ließ mich in den Sessel vor seinem Schreibtisch sinken und bemühte mich, möglichst aufrecht dazusitzen. Er drehte sich vom Computer weg, nahm seine Brille ab, trommelte mit seinen Fingern auf den Schreibtisch und sagte: »Es gibt naive Menschen, und es gibt dumme Menschen. Sie sind Letzteres. Dass der Kerl Ihr Vater war und Sie Ihr Leben lang versucht haben, diesen

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